Nicht ganz schlechte Menschen
eines
spanischen Chansons ein.
Die Liebe der blutjungen Mädchen ist
ein Flämmchen in windiger Nacht …
Weiter wußte er den Text nicht, es war ein Lied ohne Happy
End, melancholisch und bitter. Im sechsten Stock des Colón trennten sich ihre
Wege; ohne Kuß gingen sie in ihre jeweilige Kammer. Nach Mitternacht, als das Arbeitsprotokoll
angefertigt und abgezeichnet war, mußte Karl in der Kantine miterleben, wie
Mila offen mit Vati flirtete.
Karl hatte sich einmal davor gefürchtet, daß Vati Milas großer
Bruder sein könnte. Inzwischen wünschte er, daß es so wäre. Er zögerte,
hinzugehen, Mila am Arm zu nehmen und nach Hause zu drängen. Sie trank Wein,
und Vati hatte seine Gitarre dabei, eine blutrot bemalte Klampfe mit nur vier
Saiten. Karl schätzte seine Chancen in einer Rauferei mit Vati als gering ein,
der Italiener war einen ganzen Kopf größer und von athletischer Statur. Karl
tat, als mache er sich nichts aus Milas Koketterie, er sang mit und ließ sich
sogar ein Glas Wein geben. Er klopfte Vati auf die Schulter, lobte ihn für sein
virtuoses Spiel. Vati hatte von allen hier den leichtesten Job, weil Radio Vatikan im Schnitt pro Tag nur eine Viertelstunde lang Nachrichten sendete. Damit zog
Karl ihn nun auf, scherzhaft, wie es unter Kameraden üblich ist. Vati war ein
gutmütiger Mensch, der gern und laut lachte. Aber ein Sexualtrieb war auch ihm
gegeben, und er empfing die Signale, die Mila ihm sandte, mit eitler,
verzückter Geilheit. Er konnte sich nur noch nicht sicher sein, inwieweit sie
ernst gemeint waren. Wäre er sicher gewesen, hätte er den Kampf um sie sofort
aufgenommen und wäre bei erster Gelegenheit rabiat geworden. Man aß und trank,
rauchte und sang, und schließlich stellte Karl die entscheidende Frage.
Mila – es ist spät – wollen wir?
Ein Moment aufmerksamer Stille entstand. Alle im Raum hatten
mitbekommen, daß zwischen Karl und Mila etwas nicht im reinen war. Manche
schienen erleichtert, mindestens einer enttäuscht, als Mila zur Antwort gab:
Ja.
Die Alternative wäre gewesen, Karl vor allen zu brüskieren und Vati
zu fragen, ob sie bei ihm nächtigen könne. Doch weder war sie daran
interessiert, sich diesem etwas tumben und pausbäckigen Menschen auszuliefern,
noch wollte sie einen Ruf als Flittchen riskieren.
Auf dem Nachhauseweg stellte Karl ihr eine viel entscheidendere
Frage.
Liebst du mich noch?
Mila dachte lange nach. Viel zu lange. Bis Karl begriff, daß sie so
tat, als habe sie die Frage nicht gehört. Er stellte sie kein zweites Mal. Am
nächsten Morgen, gegen zehn, holte Zanoussi den Sack ab und drückte Karl zum
Dank ein Viertelpfund Tabak in die Hand.
Damit schien die schlimmste Gefahr fürs erste beseitigt. Bis Mila
aus dem Zimmer trat und leise sagte:
Nein.
Was nein?
Du weißt schon.
Sie packte ihren Kram, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Zuletzt
sagte sie doch noch etwas.
Es wäre mir lieb –
Was?
Wenn du dir ein anderes Parteiamt suchst. Ich möchte nicht jeden
Abend deine Fresse sehen müssen.
Karl war perplex. So, voller Haß und Ekel, redete ein Mädchen, das
ihn vierundzwanzig Stunden zuvor noch liebkost hatte. Und ihre Vorwürfe
entbehrten auch noch jeglicher Grundlage. Schließlich war er doch um sie viel mehr besorgt gewesen als um sich selbst. Er wollte sie so nicht ziehen
lassen, wollte diskutieren. Ein erfahrener Mann hätte darauf verzichtet und der
Geliebten Zeit und Raum gegeben, statt die Situation mit jedem Wort noch zu
verschlimmern. Karl war zweiundzwanzig Jahre alt und in Panik. Eben als er Mila
mit den vernünftigsten Argumenten umstimmen wollte, ließ ein gewisses Geräusch
beide verstummen. Ein Schlüssel drehte sich in der Tür. Ein Mann stand im Flur.
Karl nahm ein Küchenmesser, um sich gegen den vermeintlichen Einbrecher zur
Wehr zu setzen.
Carlito? Was machst du denn da? Erkennst du mich nicht?
Karl starrte den kahlköpfigen Eindringling an. Das war Ines,
irgendwie als Mann verkleidet. Man hatte ihr, so sein erster Gedanke, nicht nur
die Haare, auch die Brüste abgeschnitten.
Ines reichte Mila die Hand und sagte, ihr Name sei Juan, Juan
Rodrigo, sie wohne hier. Und an die Adresse Karls richtete sie den Satz: Freust
du dich nicht, mein Cariño ? Gibst du mir keinen Kuß?
Ines hatte Karl niemals zuvor als Liebling oder Schätzchen
bezeichnet, noch einen Kuß von ihm verlangt. Mila huschte an den beiden vorbei,
auf die Straße hinaus, ohne Karl einen weiteren Blick zu gönnen. Worüber er
sogar froh
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