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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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heraus.
Ich stelle diesen Sack bei euch ab. Deine Freunde da draußen hätten mich
beinahe erwischt. Überall Razzien. Im Sack ist Eigentum des Volkes. Ich habe
den Auftrag, es an einen sicheren Ort zu bringen. Das kannst du dir ohnehin
denken, und mehr brauchst du gar nicht zu wissen. Ich hole das morgen im Lauf
des Tages ab, und die Sache ist erledigt. Niemandem passiert was. Wenn du mich
anzeigst, war es das letzte, was du im Leben getan hast.
    Mila hörte der Predigt zu, ohne jeden Kommentar. Den Anblick des
fakirhaften älteren Mannes mit seinem Beduinenkopftuch und den beigen
Leinenhosen fand sie auf faszinierende Weise abstoßend. Zanoussi öffnete die
Tür einen Spalt und lugte hinaus. Dann drehte er sich noch einmal um, zog ein
Gesicht zwischen Grimm und Verzweiflung, zischte Merda! und lief auf die
Straße.
    Was kennst du bloß für Leute? Mila formulierte den Satz
überraschend milde, beinahe nachsichtig. Es wird ja immer schöner!
    Karl gab ihr keine direkte Antwort. Wir müssen zur Arbeit, murmelte
er schließlich.
    Wenn er nicht auffallen will, wozu rennt er in diesem Aufzug herum?
Zeigst du ihn an?
    Ich weiß, wozu diese Typen fähig sind.
    Also nein?
    Ja. Nein. Laß uns aufbrechen. Karl erkannte an der Schnute, die Mila
zog, daß die Situation für sie nicht hinreichend geklärt war.
    Zanoussi ist ein Irrer, wir haben uns in Paris kennengelernt, ich
kann nichts dafür.
    Dann soll ich darüber keine Meldung machen?
    Karl sah sie erschrocken an. Wozu? In dem Sack sind bestimmt Waffen,
ein paar alte Pistolen, ein paar Gewehre, was macht das?
    Was das macht? Wir sind im Krieg. Da gibt es nur ein falsches oder
richtiges Handeln.
    Mag sein, mag sein, aber wer will entscheiden – ? Ich bitte dich,
Mila, manches ist zu unwichtig, um richtig oder falsch zu sein. Man kann doch
einer solchen Kapriole wegen nicht die eigene Gesundheit riskieren. Oder gar
mehr.
    Mit diesen Waffen werden vielleicht einmal Parteigenossen getötet.
Milas Tonfall war nicht anzuhören, ob das Argument restlos ernst gemeint war
oder ob sie Karl nur triezen wollte. Er bemühte sich darum, sie nicht von oben
herab zu behandeln. Das wäre der sicherste Weg gewesen, ihren Trotz auf den Plan
zu rufen.
    Selbst wenn man Zanoussi anzeige und er sofort gefasst werde und er
keine Freunde hätte, die ihn rächen würden, gebe es immer noch die Möglichkeit,
daß er behaupten würde, er und sie, Karl und Mila, seien seine Mitwisser
gewesen und würden nur versuchen, angesichts der Lage ihren Kopf zu retten.
Allein, daß er diesem Irren die Tür geöffnet habe, könne als Verdachtsmoment
gewertet werden.
    Mila lenkte vor so vielen Konjunktiven ein. Zanoussis
Drohung, die Wand mit Karls Gehirn verzieren zu wollen, hatte ihre Wirkung auch
auf sie nicht verfehlt. Anarchisten waren in Milas Weltbild ohnehin
geisteskrank und gemeingefährlich, und dieser eine hatte einen besonders
furchterregenden Eindruck gemacht.
    Während beide die Rambla in Richtung Norden hinaufliefen, kamen sie
an einigen kleinen Cafés vorbei, die nach Einbruch der Dunkelheit noch geöffnet
hatten. Der kommunistische Polizeipräsident wußte, wie man die schlechte
Stimmung in der Bevölkerung heben konnte. Einige Tonnen Schokolade, Kaffee und
Tee waren aus der letzten Reserve für den Handel freigegeben worden. Die
Sturmgardisten aus Valencia hatten die Lage im Griff. Es gab Razzien und
Verhaftungen zuhauf. Karl und Mila hielten Händchen und wären nur schwer auf
die Idee gekommen, daß es anständige, intelligente Menschen gab, die das, was
vorging, als roten
Terror bezeichnet hätten. Mila war nicht wohl bei dem Gedanken,
ein Verbrechen zu begehen. Das Nicht-Anzeigen eines feindlichen Waffenlagers
war zweifellos ein Verbrechen und Gefängnis die mindeste Strafe dafür. Für
vergleichbare, selbst für weit geringere Vergehen waren schon Todesurteile
verhängt worden.
    Aufgrund ihrer neunzehn Jahre war Mila in vielen Fällen
bereit, dem wesentlich älteren Franz/Karl die größere Welt- und Lebenserfahrung
zuzugestehen, mehr aus Liebe denn aus innerer Einsicht. Heute hatte sie ihn zum
ersten Mal als ängstlich und manipulierbar kennengelernt. Welch zwielichtige
Figur hatte er abgegeben! Je länger sie darüber nachdachte, desto verheerender
fiel ihr Urteil aus. Sie ließ seine Hand los, unter dem Vorwand, er schwitze
zwischen den Fingern. Es klang rüde, wie sie es sagte. Karl, der für so etwas
feine Antennen besaß, ahnte, was in Mila vorging. Ihm fiel der Refrain

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