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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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und, in ständiger Reibung
aneinander, Funken schlügen.
    Nach Einbruch der Dunkelheit gab es am Eiffelturm ein äußerst
aufwendiges Feuerwerk zu bewundern. Pierre fand diesen Hintergrund passend
genug, um Ellie, auch in Max’ Anwesenheit, das war ihm egal, einen neuen
Heiratsantrag zu machen. Welch herrliches Spektakel! Alle drei hatten Wein
getrunken und waren von der Lichtregie des Tages enthusiasmiert. Welche Lust,
hier zu sein, rief Max, und nicht in Cottbus oder Schweinfurt! Pierre ging auf
die Knie. Ellie
Jakobowski, ich bitte dich, von ganzem Herzen und aus dem tiefsten Grund meiner
Seele: werde meine Frau!
    Es wirkte ein wenig peinlich und rührend zugleich. Ellie war überaus
angetan, dazu schon etwas betütert. Pierre hatte einen romantisch-feierlichen
Ton getroffen, dessen Beschwörungszauber sie sich kaum entziehen konnte.
Dennoch hielt sie sich streng an das, was Max ihr für den Fall
empfohlen/befohlen/ diktiert hatte.
    Mein lieber Pierre Geising, steh auf! Du hast von heute an ein Jahr
Zeit, dir das noch einmal gründlich zu überlegen. Solltest du bis dahin nicht
die Lust an mir verlieren, will ich deine Frau werden.
    Gib mir die Hand darauf! Forderte Pierre, pedantisch vor Glück.
Danach gingen sie feiern, zu dritt, krönten den Abend mit einem Vier-Gänge-Menü
im Restaurant Prunier .
Max hatte dabei angeboten, sich zurückzuziehen und den beiden nun Verlobten das
Feld zu überlassen.
    Kommt
überhaupt nicht in Frage! Pierre umarmte seinen künftigen
Schwager und küßte ihn auf beide Backen.
    Deutschland
und Italien machten sich längst nicht mehr die Mühe, ihre Unterstützung für
Franco zu verleugnen. Der deutsche Panzerkreuzer »Admiral Scheer« bombardierte
den Hafen von Almeria, unter dem Vorwand der Vergeltung für gegnerische
Luftangriffe, und die Regierungen in England und Frankreich verzichteten
darauf, jenen Akt anzuprangern geschweige denn als Kriegsverbrechen zu
verurteilen, aus Angst vor einem daraus resultierenden europaweiten Krieg.
    Karl, ohnehin schon trüb gestimmt, fiel in einen Zustand
purer Verzweiflung. Ihm kam es vor, als sei die sogenannte freie Welt verrückt
geworden und habe ihren Selbstmord beschlossen.
    An
der Nordfront erzielte Franco bald darauf einen weiteren Sieg. Die Enklave
Bilbao, mit ihren wichtigen Metallfabriken, fiel. Den Faschisten gehörte nun,
bis auf Gijon, beinahe die gesamte Atlantikküste, sie konnten große Teile ihrer
zuvor gesplitteten Kräfte auf die Eroberung Madrids konzentrieren. Falls nichts
Unvorhersehbares geschah, war der Ausgang des Krieges damit festgelegt.
    Mila mochte sich auch nach drei Tagen noch nicht
beruhigen. Natürlich kann man in Menschen nicht hineinsehen – aber konnte ihr
Instinkt so sehr versagt haben? Karl war offenbar ein deutscher Spion, der sich
mit jedermann gut stellte, mit Anarchisten, Trotzkisten, Engländern, sogar mit
transvestitischen Schwanzweibern ( Carajo mujeres ). Wie war es möglich, daß sie sich in
jemanden wie ihn verliebt hatte? Dämlich kam sie sich nun vor, beschmutzt von
ihrer Naivität. Sie, als politischer Mensch, war ein Opfer sentimentaler Motive
geworden. Hatte sich einem im Grunde Fremden hingegeben. Ihr war ganz schlecht,
und vorsorglich ließ sie sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen. Wer wußte
denn genau, was Karl mit diesem Maricón getrieben haben mochte? Das war so ekelhaft.
Wenigstens tat Karl ihr den Gefallen, nicht mehr zur Arbeit im Colón zu erscheinen. Wahrscheinlich tat er den Gefallen nicht ihr, sondern wieder
einmal sich selbst. Sie hätte ihm gerne ins Gesicht gespuckt.
    Karl kehrte nur noch einmal kurz zu Ines/Juan zurück, um
ein paar persönliche Sachen zu holen. Seine Scham saß zu tief. Zorn und
Traurigkeit kamen hinzu. Alles, was er an materiellen Dingen besaß, konnte er
bequem in einem Koffer tragen. Scham, Zorn und Traurigkeit hingegen sprengten
seinen Kopf. Dem Vorgesetzten im Colón gegenüber hatte er sich krank gemeldet, ohne seine
Erkrankung näher zu definieren. Der Teniente wünschte ihm gute Besserung. Karl
sprach bei den Rosarios vor, bat um Obdach. Im Gegenzug wolle er Sebastián
unterrichten, selbstverständlich kostenlos. Das Ehepaar sah sich vielsagend an,
stand nebeneinander breit in der Haustür und druckste herum. Sebastián gab den
Ausschlag. Er rannte herbei, drückte sich mit kindlicher Gewalt zwischen die
Beine seiner Eltern und rief laut, wie schön das werden würde. Karl bekam ein
Zimmer zugewiesen, das einmal von der Köchin bewohnt

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