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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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machen. Doch Pierre und Max sorgten für ein
Höchstmaß an Diskretion. Sie legten Wert auf bürgerlich-begüterte Kundschaft,
die einen Ruf zu verlieren hatte und sich einigermaßen im Zaum hielt, wenn es
heiter wurde. Der künstlerische Rahmen der Veranstaltungen ließ kaum
Verdachtsmomente zu. Manche Gäste frequentierten die Sosos tatsächlich nur der
dargebotenen Kunst wegen oder um zu plaudern, ein paar Gläser Wein zu trinken
und sich kultiviert zu fühlen.
    Max legte sich schwer ins Zeug, Künstler, Artisten, Magier, Musiker,
Dichter, Rhetoren zu finden und zu verpflichten, die ihr Publikum zu fesseln
und zu bereichern verstanden. Eine reine Alibi-Veranstaltung hätte wenig
Zukunft gehabt. Unter den Besuchern sah man hin und wieder Prominenz. André
Gide war einmal da, Jean Cocteau sowie der Komponist Francis Poulenc. Was die Gäste am Ende eines Abends
hinter verschlossenen Türen unternahmen, blieb deren Privatsache. Und es galt
durchaus noch nicht als unüblich, daß sich zwei sparsame Männer ein Zimmer
teilten, ohne verwandt, verschwägert oder sonstwie einander verbunden zu sein.
    Der mögliche Vorwurf der Kuppelei hätte durch sehr wenige Indizien
gestützt werden können. Einzig die Verstöße gegen das Meldegesetz, in solcher
Häufung, gaben Max und Pierre einen Grund, sich immer ein wenig zu fürchten.
Auch wenn sie sich inzwischen etliche Ausreden ausgedacht hatten und an jedem
Morgen die schlimmste Gefahr überstanden schien.
    Ellie repräsentierte inzwischen das Hotel und entzückte
die Soso-Besucher mit immer neuen, immer gewagteren Garderoben und
frech-lasziven Sprüchen, die, weil sie aus dem Mund einer hübschen Frau kamen,
definitiv nicht vulgär sein konnten. Mißtöne gab es aber auch. Xavier erklärte
den Sonntag zu seinem freien Tag. Ihm ging die neue Madame Geising offensichtlich
schwer auf die Nerven, zumal er mit der bockigen Blanche, wollte man den
Gerüchten glauben, einen Mißgriff getan hatte und meist schlechter Laune war.
    Pierre und Xavier redeten bald nur noch das Nötigste
miteinander. Männerfreundschaften überleben selten, wenn der eine die Partnerin
des anderen nicht leiden kann.
    Daß jemand ihn um Ellie nicht beneidete, sie vielleicht sogar haßte,
war für Pierre ein Greuel, eine Beleidigung, die auf seiner Seele einen
entzündeten Schatten hinterließ. Zugegebenermaßen steigerte er sich, genau wie
Xavier, in etwas hinein. Statt, schon um seiner psychischen Gesundheit wegen,
mit der gebotenen Gelassenheit zu reagieren und alles Unangenehme auszublenden,
suchte er den Konflikt. Anlässe gab es genug. Xavier Chapelle, dieser einst so
stramm gewissenhafte Mensch, vernachlässigte seine Pflichten, tat nurmehr
Dienst nach Vorschrift. Als wollte er demonstrieren, was er sich leisten
konnte. Mit dem Hinweis, er habe Kopf-, Leib- oder sonstige Schmerzen, zog er
sich oft während der Arbeitszeit in seine Kammer zurück. Wo er dann nicht war,
wenn man ihn brauchte, weil er sich über den Hinterhof in ein Café
verabschiedet hatte und Illustrierte oder Turf-Magazine las.
    Pierre grübelte über einen gangbaren Weg, seinen ältesten
Angestellten vor die Tür zu setzen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen, ohne selbst
ein Risiko einzugehen. Und immer war es ausgerechnet Ellie, die ihn
beschwichtigte und besänftigte, die ihm zur Mäßigung riet, mit dem Hinweis,
Typen wie Xavier Chapelle werde es immer geben, solange der Planet rotiere, man
könne aus deren Neid, darum handele es sich im Grunde doch, genausogut Freude
beziehen und Selbstbestätigung. Lebenslust. In solchen Momenten war Pierre von
der Weisheit seiner Gattin begeistert. Du hast ja so recht, sagte er laut. So
recht! Pierres böse Gedanken glichen dann fortgescheuchten Schmeißfliegen, die
ziellos im Raum einige Runden drehen, bevor sie zur Wunde zurückkehren.
    Karl, der bei seinem Medizinstudium signifikante Fortschritte
machte, half oft abends an der Rezeption aus, um sich so mit ehrlicher Arbeit
ein Taschengeld zu verdienen, das nicht allein der Gnade und Willkür von Max
entstammte. Die Gemengelage der Gefühle war äußerst kompliziert. Auf viele
Empfindsamkeiten mußte Rücksicht genommen werden.
    Während der ersten September-Soso hob Ellie, wie einige
Male zuvor, ihr Sektglas und brachte einen Toast aus, auf das Gelingen des
Abends. Später, nachdem die diversen Darbietungen mit viel Applaus bedacht
worden waren, forderte sie ein ihr unbekannter, noch recht junger,
gutaussehender Mann zum Tanz auf. Er sprach

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