Nicht ganz schlechte Menschen
Hand. Er habe, sagte er zu seiner
Entschuldigung, mehr nicht erreichen können. Erstaunlicherweise lehnte der Pole
das Geld dankend ab. Es sei ihm unmöglich, eine solche Summe zurückzuzahlen,
sein Überleben würde er schon, auf welche Weise auch immer, finanzieren, das
Problem liege woanders.
Max schlug ihm vor, beim französischen Innenministerium eine vorläufige
Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, schaden könne das ja nichts. Eben doch,
sagte der Junge, der sich Heinrich Halter nannte, ich bin illegal über Belgien
eingereist. Mir fehlt der Stempel.
Dann sag einfach, daß du deine Papiere verloren hast oder daß sie
dir gestohlen wurden. Kann jedem passieren.
Max war im nachhinein
ungehalten darüber, wie leichtfertig seine Großzügigkeit, und es wäre ja
ein Geschenk gewesen, keine Leihgabe, verschmäht wurde. Offensichtlich schien
dieser Heinrich jemand zu sein, der aufgrund mangelnder Lebenserfahrung noch in
größter Not auf Prinzipien bestand. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen.
Ellie
ließ sich den Fall am Abend in allen Details erzählen. Ihr gefiel der Bengel,
wofür sie keinen konkreten Grund hätte nennen können, es war, wie sie
selbst es nannte, reines weibliches Bauchgefühl.
Max registrierte, daß Ellie nach ihrer Heirat um fünf Jahre jünger
aussah. Nun, da sie die französische Staatsbürgerschaft annehmen konnte, was
sie bei erster Gelegenheit auch tat, durfte sie in Paris offiziell ein
Arbeitsverhältnis eingehen und befand sich in Sicherheit vor jedem Zugriff
seitens des deutschen Reiches. Sie blühte auf, sie strahlte, sie bewegte sich
anders, musikalischer, geschmeidiger, lachte heller, ihre Haut und ihr Teint
schimmerten verjüngt. Erst jetzt begannen Ellies Freunde zu ahnen, unter
welchen Spannungen sie gelitten haben mußte, die aber hinter ihrer
optimistischen Frohnatur nie hervorgetreten waren. Erst die Veränderung schuf
dafür ein Bewußtsein.
Und Ellie wollte noch etwas Neues ausprobieren. Sie folgte
der Einladung des Filmproduzenten Marcowitz, der ihr auf der Hochzeit eine
Rolle in seinem nächsten Film angeboten hatte. Sie wollte seine Studios ansehen
und Filmatmosphäre schnuppern. Johannes Marcowitz, ein zigarrenkauender älterer
Glatzkopf mit dicken runden Brillengläsern, empfing sie in seinem Büro, das
oberhalb von Notre Dame, nah am Seine-Ufer lag, spartanisch ausgestattet und
sehr, sehr klein. Um Miete zu sparen, bekannte der Produzent freimütig. Das einzig
Wichtige in diesem Raum seien er selbst und das Telefon. Und natürlich nun sie,
Ellie. Studios? Nein, er habe keine Studios, die miete man, und zwar dann, wenn
der Film realisiert werde, das koste ein Heidengeld, Tausende von Dollars pro
Tag. Er redete von Dollars, obwohl man Pariser Studiomieten wahrscheinlich auch
mit Francs bezahlen konnte.
Und welche Rolle soll ich denn nun spielen? Ellie kam gleich zur
Sache. Marcowitz hob die Schultern. Das sei ein Problem.
Was für ein Problem?
Nun, sagte Marcowitz, der Finanzierung natürlich. Die sei doch immer
das Problem. Im Budget fehlten noch etwa 20.000 Dollar, träfen diese ein, könne
man über die Besetzung der Rollen reden und einen Stab verpflichten. Außerdem
müsse man wohl Probeaufnahmen machen, gerade wegen Ellies Ähnlichkeit mit Pola
Negri. Sonst finge man sich am Ende eine Klage ein, auch wenn oder gerade weil
Ellie noch etwas schöner sei als das Original.
Ich bin aber keine Kopie.
Eben. Sag ich doch.
Probeaufnahmen seien unbedingt nötig, um herauszufinden, wie man
Ellies Typ am besten zur Geltung bringen könne, ohne daß man an die Negri
erinnert werde. Zur Zeit sei leider kein Set aufgebaut. Es gebe da allerdings
eine Möglichkeit.
Ellie ahnte schon jetzt, daß mit Marcowitz etwas nicht koscher war,
ihre Menschenerfahrung hatte sie für derlei feinfühlig gemacht. Schon aufgrund
einer subtilen Veränderung in der Stimmlage des Produzenten spürte sie, daß
eine Ungehörigkeit in der Luft lag. Es war die Art, in der Männer die Lautstärke senkten und plötzlich für einen
Moment wie mit belegter Zunge redeten, als müßten sie Mut aufbringen, um eine
gewisse Hemmschwelle zu überwinden. Wobei sie sich meistens räusperten und
Blickkontakt vermieden.
Hören Sie, Ellie, denken Sie jetzt nichts Falsches.
Was wär denn falsch und was richtig?
Wir alle, ich meine, wir Emigranten, müssen auch mal kleinere
Brötchen backen.
Es gebe in der Nähe ein Studio, ein kleines, sehr gemütliches, da
werde zur Zeit ein Film gedreht, ein, naja,
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