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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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meisten Lebewesen,
sagte er, legen viel zuviel Wert
auf das Urteil von Artgenossen, die ihnen eigentlich nichts bedeuten müßten.
Diese Artgenossen zu entmachten, durch entschiedene Gleichgültigkeit, sei die
erste Stufe auf dem Weg zur geistigen Freiheit. Er kenne Künstler, große
Künstler, die sich von jedem Mundfurz eines Idioten verunsichern ließen. Er
hingegen sei ein kleiner, aber freier Künstler. Oder auf dem Weg dorthin.
    Was er für das Ideal der Weisheit hielt, beurteilten andere als
abgehoben und arrogant. Seine spitze Zunge war süchtig nach Sottisen, und nicht
immer war sich Max bewußt, wenn er jemanden
herabsetzte. Die Wahrheit, dachte er in einer etwas eigenwilligen Logik,
könne niemanden beleidigen. Als er mit Ellie tanzte, flüsterte er ihr ins Ohr,
wie schön sie sei, er könne sich kaum sattsehen an ihrer Freude, und er fragte,
ob sie nicht immer schon, wie alle reiferen Huren, diesen Traum gehegt habe,
einen meist impotenten, doch wohlhabenden und gutmütigen Versorger zu finden.
    Kann schon sein, erwiderte Ellie, die nicht wußte, worauf genau er
hinauswollte.
    Sei dir gegönnt, sagte Max, du Schäfchen bist endlich im Trockenen.
Vergiß nur nie, wer dich naßmachen darf.
    Das klang nach Eifersucht und Besitzanspruch. Ellie ging nicht
weiter darauf ein, sie nahm sich als Ehefrau ernster, als es Max gefallen
hätte. Daß er nun, zu einem so unpassenden Zeitpunkt, auf ein diffuses Vorrecht
pochte, mißverstand sie als männliche Reviermarkierung, nicht als Ruf nach
Loyalität für kommende Zeiten der Not.
    Ellie war, auf eine Art, glücklich und gedankenlos, sie tanzte drei
Stunden lang mit jedem, der sie aufforderte, sogar und sehr gerne mit dem
Negertrommler aus dem Swingorchester, der ihr nach dem Tanz, um sein
Selbstbewußtsein zu demonstrieren, einen Klaps auf den Hintern gab.
Währenddessen gönnte sich Max, tief unten in der Küche, eine Zuwendung seitens
des Strichjungen, den er zuvor beim Mundraub beobachtet hatte. Dem Bengel war
es sehr peinlich gewesen, als Max wie versehentlich an die gefüllten Taschen
seiner Joppe faßte und ihn lächelnd aus dem Saal drängte, für eine dringend
notwendig gewordene Unterredung. Bis auf seinen leichten Mundgeruch, der von
einem Magenleiden herrührte, wirkte der Junge, er mochte sechzehn oder siebzehn
sein, recht appetitlich. Im Gespräch danach stellte sich heraus, daß er ein
deutschsprachiger Jude mit polnischem Pass war, der in Paris von einer Stunde
zur nächsten lebte. Er habe von der Hochzeit durch mehrere eingeladene Gäste
erfahren und schlichtweg Hunger gelitten. Sichtlich zerknirscht bat er um
Verzeihung für sein Eindringen.
Max gab dem verblüfften Jüngling einen 50-Francs-Schein und riet ihm, in ein
paar Tagen wieder vorbeizusehen, vielleicht könne er dann etwas für ihn tun.
    Auch wenn das Verhältnis von Frauen zu Männern 1:5 betrug, fehlte
nichts zu einem rundum gelungenen Fest. Weit nach Mitternacht, Pierre hatte
sich bis dahin ein alkoholisches Sparprogramm auferlegt, wurde die Ehe sogar,
wie um der Form Genüge zu tun, mit letzter Kraft vollzogen.
    Tatsächlich drückte sich der kurzgewachsene Pole schon am
nächsten Tag im Hotelfoyer herum und legte vor Max seine Verzweiflung offen. Er
habe keine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich, ihm drohe die Abschiebung,
umgekehrt werde ihm die Wiedereinreise nach Deutschland verweigert, wo seine
Familie lebe und Repressalien ausgesetzt sei, er befinde sich in einer beschissenen Situation und greife, wofür er um Entschuldigung bitte, nach jedem Strohhalm.
    Er sieht, dachte Max, viel weniger attraktiv aus als gestern. Aber
schön, sagte er, ich will sehen, was sich machen läßt. Der Bursche wurde um
eine Woche vertröstet. Wieder lag alles an den Beziehungen des Marquis de
Paulignac. Doch diesmal gelang es Max beim besten Willen nicht, zu ihm
vorzudringen, auch wenn er offiziell als Sous-Chef des Hotels Monbijou auftrat, um eine ausstehende Rechnung einzutreiben. Der Marquis sei nicht zu
sprechen, behauptete die älteste seiner schmallippigen Töchter, er habe einen
weiteren Schlaganfall erlitten, befinde sich im Sanatorium und könne am
gesellschaftlichen Leben nicht länger teilnehmen. Die geforderte Summe von
dreihundert Francs für zwei angeblich nicht bezahlte Übernachtungen erhielt Max
ohne Diskussion und ohne dafür eine Quittung unterzeichnen zu müssen. Immerhin.
    Genau jene drei 100-Francs-Scheine drückte er dem Jungen, der ihm
leid tat, beim nächsten Treffen in die

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