Nicht ganz schlechte Menschen
französisch mit deutlich deutschem
Akzent.
Dann
wollen wir mal , antwortete Ellie, und der Neuling in der Runde
schien so überrascht wie erfreut, eine Landsfrau vor sich zu haben. Die
Lichtquellen im großen Salon wurden durch farbige Filter abgeschwächt, bis eine
karnevalesk-entrückte Atmosphäre entstand. Der Pianist, der diesmal ganz allein
für die musikalische Untermalung sorgte, sprang von Tonart zu Tonart, erging
sich in melancholischen Moll-Glissandi, zu denen man kaum tanzen konnte. Nur
eine Art trancehaftes Schunkeln schien angebracht, bis irgend jemand
protestierte, enerviert und laut nach MEHR RHYTHMUS rief und so die eigenartige, dabei längst nicht allen unangenehme Stimmung
zerstörte. Ellie hatte die Minuten sehr genossen, während derer ihr Tanzpartner
seine rechte Hand von einem ihrer Schulterblätter zum anderen wandern ließ, in
gewisser Weise aufdringlich und taktvoll zugleich. Sie bat den keine dreißig
Jahre alten Menschen, der sich so elegant bewegte, an die Bar, bestellte zwei
Kir Royal, wollte mehr über ihn erfahren. Er nannte sich Eduard, ausgesprochen
auf französische Art.
Sie sind aber doch Deutscher, nicht?
Das kann man so sagen, in der Tat. Eduard erwähnte, daß er neu in
der Stadt sei und an der deutschen Botschaft arbeite, nach einem langen
Indienaufenthalt.
Aber dann – sind Sie doch auch Nazi? Fragte Ellie, in der ihr
eigenen Direktheit.
Mal gesetzt den Fall – wäre das schlimm?
Und wie! Für uns beide! Wenn Sie nochmal meine Hand küssen, kommen
wir wegen Rassenschande ins Gefängnis.
Oha, sagte der schmucke junge Mann. Und setzte ein umwerfend
komplizenhaftes Lächeln auf. Alles hat seinen Preis, und manches ist diesen Preis auch wert .
Eduard ergriff Ellies Hand und küßte diese demonstrativ, wobei seine Lippen,
damit wollte er wohl seine Ansicht zur Rassenfrage kundtun, ihre Finger sogar
eine Zehntelsekunde lang berührten.
Für einen Moment dachte Ellie, daß dieser Kerl ihr zwei, drei Sünden
wert wäre. Aber natürlich mußte er schwul sein. Im nun folgenden Gespräch legte
er sich dahingehend keineswegs fest und betonte seine Weltoffenheit. Gegen halb
zwei Uhr morgens war er betrunken und komplett aus der Reserve gelockt. Er
habe, teilte Eduard mit, sogar einmal eine jüdische Freundin gehabt, einst in
Königsberg, und wenn er sich auch um der leidigen Karriere willen dem
Nationalsozialismus verschrieben habe, dann doch keineswegs blind unkritisch,
im Gegenteil. Er sei gläubiger Katholik und lange nicht mit allem
einverstanden, was das Regime propagiere.
Dann würden Sie also mit mir schlafen, ohne sich rassisch besudelt
zu fühlen?
Nun, sagte der junge Mann, von Ellies Offenheit eingeschüchtert und
unsicher, ob damit ein Angebot verbunden war, nun – wenn Sie mich so fragen,
wäre es mir eine Ehre, also, ich meine, hypothetisch gesprochen …
Wie
mutig Sie doch sind! Entfuhr es Ellie. Sogleich zuckte Eduard ob
ihres scharfen Tonfalls zurück und bemühte sich um Haltung. Er begriff, daß die
Situation ihm an irgendeinem Punkt entglitten sein mußte.
Vögeln würde mich der Herrenmensch durchaus, aber sich mit mir in
einem Restaurant zeigen würde er wohl lieber nicht, hab ich recht? Ja oder
nein?
Ich bitte Sie, stammelte Eduard, nicht so laut. Ich habe
Ihnen doch gar keine Avancen gemacht. Ich wollte höflich sein. Die Dinge sind
nun einmal, wie sie sind. Das hat nichts mit dem Respekt zu tun, den ich Ihnen
von Mensch zu Mensch entgegenbringe. Wir können doch nicht zulassen, daß das
Zwischenmenschliche unter dem Joch der Ideologie verlorengeht, barbarisch wäre das.
Ellie mußte lachen, obgleich ihr der Vortrag, wie sie sich
eingestand, imponierte.
Angesichts seiner Betrunkenheit fand Eduard durchaus die richtigen
Worte, um sich mit Würde aus der Affäre zu schlängeln. Er tat ihr beinahe leid.
Wahrscheinlich war er ein guter Kerl, sofern man das von einem Nazi behaupten
konnte. Und daß sie nie ernsthaft daran gedacht hatte, sich dem adretten,
galanten Mann auszuliefern, wäre eine wohlfeile Lüge gewesen.
Ellie war über sich selbst schockiert und ließ ihren Unmut an einem
zahlenden Gast aus. Das sei, fand sie endlich, ungerecht und wenig
professionell. Wie um sich eine Buße aufzuerlegen, drückte sie diesem
hinreißend netten Faschisten einen Kuß auf die Stirn und bat ihn darum, seine
Segel einzurollen. Eduard nickte erleichtert, bezahlte die Rechnung und ging.
Daß er so ohne jeden Widerspruch Reißaus nahm, empfand Ellie wiederum
Weitere Kostenlose Bücher