Nicht ganz schlechte Menschen
am ganzen
Leib zu zittern. Ellie gab ihm noch einen Ratschlag, wie er ungeachtet seiner
vermeintlich ohnmächtigen Lage aktiv werden könne. Das ließ ihn aufhorchen.
Ich? Wie denn? Um Himmels willen.
Ellie erzählte davon, wem sie neulich begegnet sei. Einem Nazi, der
an der deutschen Botschaft arbeite, der, frisch in der Stadt eingetroffen, nach
Anschluß und Zerstreuung suche.
Ich verstehe wohl nicht ganz, sagte Heinrich. Wirklich verstand er
ganz und gar nicht, was ihm da vorgeschlagen wurde.
Mach dir deinen Feind zum Freund. Sein Name ist Eduard.
Ich verstehe leider immer noch nicht.
Wie deutlich muß ich denn noch werden? Er ist geil und einsam. Und
angeblich persönlich kein Antisemit. Wer, wenn nicht ein
Botschaftsangestellter, könnte etwas tun für dich? Oder für deine Eltern.
Ach? Sagte Heinrich. Und fügte nach langem Zögern hinzu: Meinetwegen.
Noch was. Ellie drückte ihm eine Schachtel Salmiakpastillen in die
Hand.
Was soll ich damit?
Dein Magenleiden.
Woher wissen Sie davon?
Das teilt sich von selbst mit.
Widerwillig verstand der Junge und wurde rot.
Plötzlich redete jeder in der Stadt vom Krieg. Er war
endlich doch noch ins Bewußtsein der Pariser gerückt.
Hitler
hatte neue Forderungen gestellt, vor allem die Rückgabe der nach dem Ersten
Weltkrieg an die neue Tschechoslowakei gefallenen Gebiete mit hohem
deutschsprachigem Bevölkerungsanteil, das sogenannte Sudetenland. Die
Tschechoslowakei unterhielt einen Beistandspakt mit der Sowjetunion und
Frankreich. Würde Hitler ins Sudetenland einmarschieren, drohte ein neuer
Weltkrieg. Doch unter Vermittlung Mussolinis kam es am 30. September zum
Münchner Abkommen
, dem Höhepunkt der Appeasement-Politik. Frankreich und
England erfüllten sämtliche von Hitlers Forderungen. Das Sudetenland wurde
deutsches Territorium, und drei Millionen Sudetendeutsche kehrten
heim ins
Reich
. Die Tschechoslowaken wurden an den Verhandlungen nicht beteiligt,
ebensowenig wie die Sowjetunion, die sich außenpolitisch zunehmend isoliert
fühlte. Stalin beschloß, sich Hitler anzunähern. Es gab noch eine besondere
historische Pointe. Die Grenzbefestigungen der Tschechoslowakei, die laut
Aussagen der Wehrmachtsführung unüberwindlich gewesen wären, lagen alle auf dem
nun Deutschland zugesprochenen Gebiet. Die tschechoslowakische Armee, damals
eine der bestausgerüsteten Mitteleuropas, mußte ohnmächtig zusehen, wie auch
Polen und Ungarn sich Teile des tschechoslowakischen Staatsgebiets
einverleibten, allerdings ohne Zustimmung Frankreichs und Englands.
Die
Tschechen sahen sich um die vereinbarte Unterstützung Frankreichs betrogen,
wagten jedoch nicht, als letzten Bündnispartner die Sowjetunion um Hilfe zu
bitten. Ministerpräsident Benes, der von den Tatsachen überfordert war und kein
Blutvergießen auf sich laden wollte, ging ins Londoner Exil. Die Slowakei
erhielt ihre lang angestrebte Autonomie. Die baldige Besetzung und Zerschlagung
der
Rest-Tschechei
war inoffiziell bereits beschlossene Sache.
Das
deutsche Volk, das zu diesem Zeitpunkt in seiner Mehrheit keinen Krieg wollte,
jubelte dem Führer als Friedensbewahrer zu. Hitler selbst bedauerte im Gespräch
mit Parteileiter Bormann später sehr, den Krieg nicht schon im Jahr ’38
begonnen zu haben.
»Aber ich konnte nichts machen, sie haben mir alles gegeben,
was ich wollte.«
Von Hitlers Beispiel möglicherweise inspiriert, verlangte
Chapelle eine erneute Gehaltserhöhung. Das war angesichts seiner
Arbeitsverweigeung der Gipfel der Dreistigkeit. Chapelle verwies darauf, daß er
seit bald fünfundzwanzig Jahren im Hotel tätig sei und einen Jubiläumsbonus
verlangen könne. Gefragt, wie er sich diesen Bonus vorstelle, nannte er eine
Lohnerhöhung um 35 Prozent. Pierre platzte der Kragen, und beinahe hätte er,
ungeachtet aller Konsequenzen, Xavier nicht nur vor die Tür gesetzt, sondern
sogar geohrfeigt. Im letzten Moment beherrschte er sich und verließ einfach nur
schweigend das Büro. Etwas mußte geschehen. Pierre berief einen Familienrat
ein, zu dem nunmehr auch Karl gehörte.
Der Aufschwung des Hotels war niemandem weniger zu
verdanken als Xavier. Es stellte sich die Frage, ob er belastendes Material
besaß, beweiskräftig genug, die Justiz auf den Plan zu rufen, und wenn ja, ob
er imstande wäre, davon Gebrauch zu machen. Im Falle seines Rauswurfs sicher,
da war man sich einig. Aber wenn man seine Forderung einfach ablehnte, müßte er
schön dumm sein, diesen Posten, der ihm für
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