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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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freizügiger Film für eine speziell
interessierte Klientel. Nach Drehschluß könne man dort ausgesprochen preiswert
einige Probeaufnahmen von ihr machen, die dann ja auch ein Anreiz für nötige
Investoren wären.
    Um was für einen Stoff geht es denn eigentlich?
    Nichts Besonderes, das Übliche.
    Ich meine, in dem großen Film. In dem ich dann spielen soll.
    Ach so, naja, das wäre dann Madame Bovary, in die heutige Zeit
versetzt, als Kammerspiel. Mit etwas mehr Pep als bei Flaubert.
    Was bedeutet: mit etwas mehr Pep?
    Naja, man müsse dem gesteigerten Interesse des heutigen Publikums
schon entgegenkommen. Bei den Nazis zum Beispiel, da würden inzwischen Filme
gedreht, da gehe es in Revuenummern visuell schon deutlich zur Sache, und wenn
die Nazis …
    Was bedeutet das genau? Muß ich mich ausziehen?
    Wir würden das dezent drehen, sehr dezent, als eine Art Schattenriß.
Immer im Rahmen und Auftrag der Kunst selbstverständlich.
    Müßte ich meine Brüste entblößen? Meinen Sie das?
    Naja. Sie haben doch sehr schöne Brüste, oder nicht?
    Wenige Jahre zuvor hätte sich Ellie schon aus Neugier
darauf eingelassen, billig verdientes Geld wäre es auch gewesen, aber nun,
nachdem sie Madame Geising geworden war, nahm sie sich die Freiheit heraus,
Marcowitz einen schönen Tag zu wünschen. So endete, plötzlich und
unspektakulär, ihre kurze Karriere beim Film. Immerhin beleidigte sie den nach
kaltem Tabaksaft stinkenden Produzenten nicht. Wenn sie vom Leben etwas gelernt
hatte, dann war es, sich immer ein Hintertürchen offenzuhalten. Wie die Kudammnutten derb zu
scherzen pflegten, die sich einen Tripper eingefangen hatten.
    Anfang August bekam Karl unerwartet Post vom
Einwohnermeldeamt in Bari. Neuneinhalb Monate, nachdem er sich dort nach seiner
angeblichen Verwandten Ludovica Guardagno erkundigt hatte, erhielt er von der
Behörde Antwort. Daß er seiner Anfrage ein Rückporto in Briefmarken beigelegt
hatte, war nicht vergebens gewesen. Und doch hätte er auf dieses
maschinenschriftlich erstellte Schreiben gerne verzichtet. Karl war des
Italienischen nicht mächtig, sein Latein reichte hin, um alles zu verstehen.
    Wir müssen Ihnen heute mit großem Bedauern mitteilen ,
stand da, daß
Ihre Familienangehörige Ludovica Maria Fabiola Guardagno, geboren am 9. Oktober
1918 in Bari, am 25. April 1938 in Barcelona, Spanien, verstorben ist, im Alter
von neunzehn Jahren. Todesursache: Herzversagen. Eine Überführung des Leichnams
nach Italien hat unseres Wissens nicht stattgefunden. Begräbnisstätte
unbekannt. Mit faschistischem Gruß, et cetera.
    Karl las die wenigen Zeilen immer wieder, um jedes
Mißverständnis auszuschließen. Ihm wurde übel, er ging auf die Toilette, seine
Knie waren weich und zitterten, er steckte zwei Finger in den Mund – und
sonderte nur Geräusche ab. Das Frühstück war aus dem Magen nicht mehr
hervorzulocken; was in ihm wühlte, wurde er auf diese Weise nicht los.
    Jetzt begriff er, warum Zanoussi am 29. April das Hotel so
überstürzt verlassen hatte. Alles ergab einen traurigen Sinn. Zanoussi mußte
von Milas Tod erfahren haben und hatte Karl nicht davon in Kenntnis setzen
noch, nachdem er keine Aufgabe mehr besaß, die Gastfreundschaft weiter
ausnutzen wollen. Es sprach für den Charakter jenes letztlich undurchschaubaren
Menschen.
    Karl vertraute sich Max an, gierig nach jeder Art von
Trost. Max zeigte sich erstaunt.
    Hast du sie immer noch geliebt?
    Wohl nicht, nein. Vielleicht doch, was weiß ich? Karl gab zu, daß
Mila seit der eigenen Mutter die erste Tote war, mit der ihn etwas verbunden
hatte, die er emotional abarbeiten mußte. Daß er wohl niemehr erfahren würde,
welches Vergehens Mila angeklagt gewesen war, machte ihn ganz verrückt. Er
glaubte fest an ihre Unschuld. Was für eine Zeit ist das, fragte er laut, die
dem Fortschritt solche Blutopfer abpreßt?
    Max gab keine Antwort, ausnahmsweise nahm er auf den Zustand seines
Bruders Rücksicht, obschon er die Frage bizarr bis dämlich fand.
    Auch im August während der Ferienzeit fanden im Monbijou ,
dann aber nur alle zwei Wochen, die durchweg beliebten sogenannten Sosos –
die Sonntagssoireen – statt.
    Es sprach sich herum, daß man hier in gepflegter, dabei nicht übertrieben
teurer Atmosphäre Kontakte knüpfen konnte, ohne sich mit dem sonst
unvermeidlichen Halbweltpack abgeben zu müssen. Inzwischen hatte die
Sittenpolizei Wind davon bekommen und entsandte hin und wieder einen Beamten in
Zivil, um sich ein Bild zu

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