Nicht ganz schlechte Menschen
Oliven, Gürkchen, Schinkenstreifen, Butter und ähnliches. Man konnte es
sich gemütlich machen und zusehen, wie die Menschenmenge unten immer noch
anwuchs. Bei Bedarf konnte man sich noch
ein Stündchen hinlegen. Vor vier Uhr früh würde sicher nichts geschehen. Auf
dem Platz spielten Musikanten. Zwei Stehgeiger und ein Leierkastenmann.
Karl hatte tatsächlich ein eingerolltes Transparent aus dünnem Stoff
dabei. Mit zinnoberroten Lettern stand darauf zu lesen: Meurtre reste meurtre, si privé, si par
l’état . (Mord bleibt Mord, ob privat oder verstaatlicht.)
Max stichelte, daß die Botschaft hier im Kämmerlein sicher
wirkungslos verpuffen würde, er müsse sich schon nach unten auf den Platz
bequemen. Karl entgegnete, daß ihm das bewußt sei, er wolle genau dies später
auch tun, aber erst kurz vor der Exekution, um die größtmögliche Wirkung zu
erzielen.
Ellie beugte sich aus dem Fenster und schien jemanden zu entdecken,
den sie kannte, sie winkte und rief laut einen Namen. Johannes! Huhu! Max und Karl folgten ihrem Blick, in dem
Gewimmel erkannten sie niemanden. Und wer mochte Johannes sein? Erst als aus der Menge
zurückgewinkt wurde, fiel ihnen ein, daß Marcowitz so hieß.
Na so was, rief Ellie, komm rauf zu uns! Das macht euch doch nichts
aus, oder? Sie wartete keine Antwort ab und lief nach unten, um dem beleibten
Glatzkopf die Haustür zu öffnen. Was machst du denn hier? Fragte er erfreut und putzte
seine dicken Brillengläser mit einem feuchten Tuch.
Karl und Max hatten gegen seine Anwesenheit nichts einzuwenden, sie
mochten den älteren Herrn, der sehr nett sein konnte und die aktuell
schmutzigsten Witze wußte.
Ihr habt euch ja prächtig eingerichtet, muß schon sagen. Darf ich
mich beteiligen?
Er legte einen Hundert-Francs-Schein auf den Tisch, nahm sich ein
Glas Wein und ging zum Fenster. Was für eine tolle Aussicht! Ich bin ein
Glückspilz. Wir können Poker spielen, ich habe Karten dabei. Oder könnt ihr nur
Skat? Nicht einmal Skat? Naja, wir können uns auch einfach nur unterhalten.
Kennt ihr den schon?
»Angeklagter,
Sie bekennen sich doch offen zur Homosexualität, warum haben Sie die Nonne
vergewaltigt?« »Entschuldigung, aber von hinten sah sie aus wie Zorro!«
Johannes Marcowitz lachte selbst am lautesten über seinen Witz, dann
hielt er abrupt inne und schnappte mit drei Fingern nach seinem Kinn, als
bedürfe sein Kopf einer Stütze.
Sagt mal, Leute, wann wird die Hinrichtung stattfinden?
Zwischen vier und fünf Uhr früh wahrscheinlich, meinte Max, der es
aus der Zeitung wußte.
Marcowitz dachte nach. Da ist es um diese Jahreszeit schon fast
hell, nicht?
Kann sein, warum?
Naja. Wieviel Uhr ist es jetzt?
Fast halb elf, sagte
Ellie. Alle errieten, was in Marcowitz’ Kopf vorging.
Daß ich daran nicht gedacht habe! Neinnein, ich habe sehr wohl daran
gedacht, aber das Licht von ein paar Laternen wäre niemals ausreichend gewesen.
Aber morgen ist der 17. Juni, so gut wie der längste Tag im Jahr, es wird hell
sein, richtiggehend hell, nicht um vier, aber um fünf. Je näher an fünf, desto
besser. Und es wäre ja verboten! Verboten. Doch von hier aus – und ich kann es
schaffen, ich laufe sofort los und nehme einen Zug, dann bin ich mit meinem
Kram in spätestens zwei, drei Stunden wieder hier.
Moment! Sagte Max. Versteh ich dich richtig? Du willst die
Hinrichtung filmen?
Na klar, das wird eine Wucht. Ich brauche lichtempfindliches
Material, davon hab ich im Schrank – was? Was siehst du mich so an?
Du bist unser Gast.
Tausend Dank.
Wir haben dir aber nicht gesagt, mach und tu, als wärst du bei dir
zu Hause.
Marcowitz kratzte sich an der Wange. Und was bedeutet das?
Max wurde nicht konkret. Er war selbst noch am Überlegen, was genau
das bedeutete.
Es ist ganz sicher illegal, was du vorhast. Du forderst uns auf,
etwas Illegalem beizuwohnen und es auch noch zu unterstützen, indem wir dir den
Raum dazu liefern. Für einen Film, mit dem du wahrscheinlich eine Menge Geld
verdienen wirst.
Okay, Geld, ja, natürlich, ihr bekommt Geld, vielleicht nicht gerade
jetzt sofort, bei mir habe ich in bar nochmal hundert Francs, ihr kriegt
fünfhundert. Einverstanden?
Fünftausend, sagte Max.
Ach, das ist ja wohl übertrieben! Ich bitte euch.
Es wurde nicht nachverhandelt. Max blieb stur, und die Zeit war
nicht auf Marcowitz’ Seite. Bald sagte er Jajaja und lief los, um den Zug zu
erreichen.
Diesen Raum gemietet zu haben, könnte sich noch als lohnende
Investition
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