Nicht ganz schlechte Menschen
herausstellen, lobte sich Ellie.
Oder wir bekommen eine saftige Geldstrafe verpaßt, antwortete Karl.
Ich weiß nicht, ob ich das gutheißen kann.
Das kannst du, sagte Max, wir teilen mit dir.
Ist ja wohl auch selbstverständlich. Ich riskiere, von der Uni zu
fliegen, wenn ich mich auf so etwas einlasse.
Du kannst jederzeit heimgehen, dann riskierst du gar nichts.
Bruder, mir gefällt dein Tonfall nicht.
Hört auf zu streiten, rief Ellie, wer weiß, ob Johannes das
überhaupt rechtzeitig auf die Reihe bekommt.
Wieso nennst du ihn Johannes ? Wollte Max wissen.
Weil er nunmal so heißt?
Ich fühle mich unwohl! Verkündete Karl. Ehrlich, mir ist zum Kotzen
zumute. Bald wird da draußen einem Menschen der Kopf abgeschnitten, und wir
betreiben ein Geschäft damit.
Er ist ein Teufel, kein Mensch. Sähe er nicht – Ellie seufzte lasziv – so teuflisch gut aus, kein Hahn würde nach so einem krähen. Ich bin nicht grundsätzlich für
die Todesstrafe, aber hier trifft sie mal ins Schwarze. Der Kerl hat für Kleingeld
gemordet.
Ach ja? Willst du sagen, daß man für Großgeld eher morden darf?
Nachvollziehbarer wäre es dann schon. Zweifellos.
Karl wurde pampig. Das Adjektiv zweifellos gebrauchten
viel zu oft Menschen, die einfach nur über eine zu geringe geistige Reichweite
verfügten, um irgendwelche Zweifel an ihrem Denken und Handeln zuzulassen.
Max kam Ellie zu Hilfe und nannte Karl ein Paradebeispiel für
jemanden, der willfährig und ohne Not jedes Denken und Handeln einzustellen
bereit sei, sobald ihm Stalin etwas verordnet habe.
Und du, Arschloch? Hältst dich für wichtig, du Freigeist! Und hast
kein besseres Programm fürs Leben, als überall schnell mal was abzugreifen! Ich
kann dir gar nicht sagen, wie leid du mir tust.
Du hingegen tust mir gar nicht leid. Idioten verdienen, was immer
ihnen zustößt.
Wenig hätte gefehlt, und die Brüder hätten einander bespuckt.
Ellie warf sich dazwischen und sprach ein Machtwort, das sich nach
Predigt anhörte. Es stünden noch Wurst und Wein auf dem Tisch, Tabak und Brot.
Angesichts der Millionen von Menschen, die das alles entbehrten, solle man sich
einfach mal hinsetzen, einen Bissen in den Mund nehmen, langsam kauen und mit
einem guten Schluck hinunterspülen. Und daran denken, welche Gnade damit
verbunden sei. Und das Maul halten.
Ihre kleine Rede zeigte überraschend Wirkung. Die Brüder beruhigten
sich, schoben den Tisch ans Fenster und sahen hinaus in die laue Neumondnacht,
lehnten sich zurück und bliesen den Sternen blauen Rauch entgegen. Von unten
wehte Musik vorbei und ein Säugling schrie. Tausende warteten auf den Tod eines
einzigen. Dafür ein passendes Adjektiv zu finden, das die Atmosphäre
hinreichend beschrieb, ohne sie zugleich herabzusetzen, war schwer. Trotz der
volksfesthaften Begleitumstände lag in den Stunden nach Mitternacht eine
sonderbare Feierlichkeit über der Szenerie. Die Menschen saßen eng
nebeneinander, kämpften gegen ihre Müdigkeit an, betrachteten den
Sternenhimmel. Beinahe jeder, bis auf die Tumben und Betrunkenen, dachte sich
irgendwann in die Rolle des Verurteilten hinein, überlegte, welche Figur er an
dessen Stelle abgeben, welchem Thema er seine letzten Gedanken widmen würde.
Gegen zwei Uhr senkte sich eine fast meditative Stille über den Platz, und nur
aus den Seitenstraßen drang gedämpfter Kneipenlärm heran, zwischendurch
unterbrochen vom Pfeifen und Zischen neu eintreffender, gut gefüllter
Personenzüge.
Um kurz vor drei Uhr morgens, als schon nicht mehr mit ihm gerechnet
wurde, kehrte Johannes Marcowitz aus Paris mit einem Cellokoffer zurück, der
ein Stativ und eine Kamera enthielt. Er pfiff ein Liedchen, baute die Kamera
auf, während der Vorhang vorm Fenster zugezogen war, dann nahm er ein Messer,
schnitt einen Schlitz in den Vorhangstoff und schob das Objektiv durch.
Perfekt.
Unten war es mit der Stille längst vorbei. Die Phase der
Kontemplation wich einer wütenden Unruhe. Die Masse wogte hin und her, es
strömten immer noch mehr Menschen zusammen, allen war klar, daß am Ende nur ein
Bruchteil von ihnen die Chance bekommen würde, einen Blick auf das Schafott zu
erhaschen. Noch war es stockdunkel, aber auf dem Platz flackerten einige
Lichter, die von Fackeln oder Taschenlampen herrührten.
Karl, von Max süffisant aufgefordert, endlich Flagge zu zeigen,
wirkte unschlüssig. Übermüdet, mit kleinen, geröteten Augen sah er auf das
Treiben hinab. Und änderte seinen ursprünglichen Plan. Der
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