Nicht ganz schlechte Menschen
einmal etwas wirklich Schlimmes tun. Würden Sie in
meiner Lage dann nicht ebenso handeln?
Ellie war fasziniert. Alles, was Blanche sagte, klang bestrikkend
logisch. Auf groteske Art.
Also wieviel?
Nur das Nötigste. Das Allernotwendigste. Einfach nur jeden Monat die
Miete und vielleicht eine Kleinigkeit für Lebensmittel. Sehen Sie mich an, wie
dünn ich bin, ich verbrauche nicht viel. Dafür wäre ich Ihnen und Ihrem Gatten
für immer dankbar. Sie müssen es mir in bar zukommen lassen, vielleicht durch
einen Boten. Denn wenn die Polizei dahinterkäme, daß Sie mich bezahlen, könnte
es so aussehen, als würden Sie mich bestechen, verstehen Sie?
Tun wir nicht genau das? Ellie konnte nicht mehr, sie mußte übers
ganze Gesicht grinsen.
Nein, Madame. Man besticht Leute, damit sie etwas Unrechtes tun. Sie
hingegen helfen mir, damit ich das Richtige tun kann. Das sind doch völlig
verschiedene Dinge.
Ellie brachte Pierre wieder etwas liebevoller gepackte Freßpakete
in die Untersuchungshaft, wo es wirklich nicht so schlimm war. Gefangene mit
Geld konnten alles mögliche kaufen, und Pierre meinte, er nutze die Zeit, um
endlich mal Bücher zu lesen, die er immer hatte lesen wollen, die dicken
russischen Schwarten zum Beispiel.
Ellie berichtete kein Wort von ihrer Unterredung mit Blanche.
Besser, wenn er nichts davon wußte, so konnte er sich nicht verplappern. Die
Anklage hätte Ellies Besuch bei ihr sicher als Versuch ausgelegt, die Zeugin zu
beeinflussen. Ein klares belastendes Indiz.
Wäre sie völlig ehrlich zu sich gewesen, hätte sie eingestanden, daß
es noch einen anderen Grund gab. Pierre sollte nicht wissen, daß sie darüber
informiert worden war, welch treuen und braven Ehemann sie besaß. Schließlich
wollte sie irgendwann die Scheidung. Ein plausibler Beweggrund konnte da nicht
schaden, sonst würde sie vielleicht leer ausgehen. Und das wäre nicht in
Ordnung, so, wie sie sich fürs Hotel ins Zeug legte. Sie war auch ihren Brüdern
und deren Zukunft verpflichtet.
Erschrocken bemerkte sie an sich Züge ebenjener Logik, die ihr an
Blanche eben noch abstoßend und verwerflich erschienen war. Sie hatte Pierre
einen Schwur geleistet. Ihm zu dienen und zu ihm zu halten, in guten wie in
schlechten Zeiten. Am Ende würde sich das als der Meineid herausstellen, den
Blanche gar nicht erst auf ihr Gewissen nehmen mußte.
Menschen sind kompliziert, sagte sie abends zu Max.
Manche schon, gab er zur Antwort, ohne nachzufragen, wie Ellie zu
dieser umwerfenden Erkenntnis gelangt sei.
Ellie überlegte, wen sie mit der Aufgabe betrauen könnte, Blanche am
Monatsende das Bargeld vorbeizubringen. Vielleicht Luc, den Küchenjungen. Nein,
besser niemanden außerhalb der Familie. Noch blieben siebenundzwanzig Tage, um
das zu entscheiden.
Der Prozeß gegen Pierre Geising wurde auf den 22. August
festgelegt. Amirault sah darin ein gutes Omen. Anscheinend wurde die Sache
nicht allzu wichtig genommen, sonst würde nicht im Hochsommer verhandelt
werden, wenn halb Paris noch in den Ferien war.
Lieutenant Perec würde am 31. Juli seinen Ruhestand antreten und dem
Prozeß nur als einfacher Bürger beziehungsweise Zeuge ohne Rang beiwohnen. Auch
das sei gut, sagte Amirault. Denn ranghohe Ermittlungsbeamte lebten oft von
einem in vielen Jahren angesparten System aus zu schuldenden Gefälligkeiten.
Mit dem Erreichen des Rentenalters fielen, wie Amirault sich bildhaft
ausdrückte, all jene Steine im Brett herunter vom Brett in den Dreck.
Ach wirklich? Ellie hegte immer mehr den Verdacht, Amirault erzähle
irgend etwas, um seine Klientel bei Laune zu halten. Die beiden von ihm
bestellten Detektive waren bis dahin ohne Erfolg unterwegs gewesen. Dessen
ungeachtet forderte er weitere zehntausend Francs, zurückzahlbar im Falle
seines Erfolgs. Herablassend erklärte er in Bezug auf Perec, daß Polizisten,
die eben noch selbstherrlich und willkürlich agieren konnten, durch ihre
Verrentung oft einer völlig veränderten Realität ins Auge sehen müßten, in der
ihnen, statt Respekt und Angst, Apathie und Verachtung entgegenschlügen. Amirault
war, was Ellie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, ein hervorragender
Anwalt und Menschenkenner.
Marcowitz tauchte nach einem zweiwöchigen Aufenthalt an
der Côte d’Azur wieder auf, weigerte sich aber, die 5000 Francs zu bezahlen.
Seine Kamera, die Karl verkauft hatte, sei jenen Betrag locker wert gewesen,
und wenn Karl sich habe übervorteilen lassen bei etwas, das er gar nicht
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