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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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treugläubige Bürger seien und nun bestraft
würden, weil sie ihr Erspartes mit langen Laufzeiten angelegt hätten. Unsinn,
rief Max, bestraft werde nicht der Kleinsparer, sondern derjenige, der dumm und
gierig gewesen sei und die falschen Aktien gekauft habe. Mitleid mit der
Kombination aus Dummheit und Gier sei wider die Natur. Die Freiheit des
Individuums bestehe nunmal zu einem guten Teil aus seinem Recht zum Risiko,
alles andere käme einem großen Gefängnis gleich. Man lebe schließlich nicht in
der Sowjetunion.
    Es entstanden die üblichen heftigen und dogmatischen Diskussionen,
die immer zum selben Ergebnis führten. Keiner von beiden wich einen Zentimeter
vom eigenen Standpunkt. Womit sie letztlich dem anderen gegenüber ihre
Verachtung ausdrückten. Auf den Gedanken, daß sie als – wenn auch zweieiige –
Zwillinge über ganz ähnliche Anlagen, Talente und Geisteskräfte verfügten, daß
sie sich nur aufgrund unterschiedlicher Lektüren, menschlicher Begegnungen und
gemachter Erfahrungen voneinander so weit entfernt hatten, auf diesen Gedanken
kamen sie nie. Der logische Schluß wäre gewesen, die Erfahrungen und
Weltanschauungen des jeweils anderen probeweise zu verinnerlichen und Nutzen
daraus zu ziehen. Und sei es nur, um auf gegnerischem Terrain größere
Geländekundigkeit zu erlangen. Eine Näherung wäre automatisch erfolgt. Statt
dessen beharrten sie auf ihren Scheuklappen wie zornige junge Männer, die von
der Welt ringsumher Respekt verlangten und sich beide auf ihre Weise für etwas
Besseres hielten.
    Immerhin zeigte sich Karl bereit, den entstehenden Roman seines
Bruders einmal zu lesen. Nicht primär aus künstlerischem Interesse, nein.
Vielmehr wollte er endlich wissen, ob das, was Max so oft als Entschuldigung
heranzog, wenn er sein Engagement für das Hotel herunterschraubte, irgend etwas
taugte. Max lehnte zuerst ab, etwas noch Unfertiges jemandem zu lesen zu geben,
der ihm nicht wohlgesonnen schien. Andererseits würde dessen Urteil ihm auch
egal sein können, und wie jeder Künstler, der an etwas arbeitet, was er für
groß und zeichensetzend hält, gierte Max nach Bestätigung und Beifall. Welcher
Triumph würde es sein, wenn ausgerechnet Karl ihm zähneknirschend konzedieren mußte, daß, bei allen ideologischen Vorbehalten
und Differenzen, hier etwas unzweifelhaft Gigantisches im Entstehen war.
    Max schrieb per Hand
und Bleistift. Wenn jeweils zwan-zig Seiten geschafft waren, ließ er sie in
einem nahgelegenen Schreibbüro abtippen. Wobei er oft telefonische Nachfragen
beantworten mußte; seine Handschrift wurde, wenn er getrunken hatte, schwer
leserlich. Aber da befand er sich mit etlichen Genies in bester
Gesellschaft. Ellie redete ihm gut zu, bemühte einen fast mütterlichen Tonfall.
Karl sei, fand sie, einen Schritt auf ihn zugegangen, nun müsse er ihm
entgegenkommen. Auch war sie selbst neugierig auf den Text und, wenn sie
ehrlich war, etwas eingeschnappt, da Max es offenbar in keinem Moment in
Betracht zog, ihr das Manuskript zur Erstlektüre anzuvertrauen.
    Max, argumentativ in die Enge getrieben, rang mit sich, wog das Für
und Wider ab, zuletzt legte er den ersten der drei geplanten Teile Karl aufs
Kopfkissen. Ein Akt, der nicht allein aus Beifallssucht geschah, ein wenig auch
aus Liebe zum einzigen, wenn auch fehlgeleiteten Bruder. Max malte sich sogar
ernsthaft aus, daß der Roman genug Kraft haben würde, aus Karl einen neuen,
geläuterten Menschen zu machen.
    Dem war dann nicht so. Max Loewe mußte, wie jeder angehende
Romancier, lernen, daß der Leser vor allem liest, was er auf sich bezieht, was
ihn bestätigt oder ihm sofort einleuchtet. Während er alles andere entweder
ignoriert oder als Provokation, ja Beleidigung empfindet.
    Karl fand sich im ersten Teil des Romans karikiert wieder, in
gehässigster Art. Johnnie ,
so hieß der junge wuschellockige Kommunist, der stets an das Gute glaubte und
regelmäßig auf die Schnauze fiel, konnte niemand anders sein als er selbst, um
jeglichen Intellekt reduziert. Daß dieser Johnnie zudem kein Rückgrat besaß und
als feige Krämerseele geschildert wurde, bereit, der eigenen Legende zuliebe
das Blaue vom Himmel herabzulügen, das war partout nicht hinnehmbar, nein.
Besonders erboste Karl die nachträglich eingefügte Schilderung einer kurzen
Gefängnishaft, aus der er sich herausgewinselt haben sollte, um hinterher damit
anzugeben, gefoltert worden zu sein. Das schlug dem Faß den Boden aus.
    Beinahe hätten sich die

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