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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Max
das Land nannte, in dem, anders als im Denken, nicht rücknehmbare Fakten
geschaffen wurden). Die Idee erobert sich Terrain. Die Gewalt hört aber nicht
auf, sie muß die eroberte Wirklichkeit verteidigen gegen andere vermeintlich
heilige Kämpfer. Die Idee wird ersetzt durch Gewalt. Eine Schreckensherrschaft
beginnt.
    Für Max stand damit fest, daß er wohl nie ein politisch aktiver
Mensch sein würde. Aber wohin dann mit all der abzusitzenden Zeit? Konnte das
eine Aussicht sein? Kleinlaut hinter dem Ofen Stunde um Stunde zu töten?
 
    Wir sind hier Fremdkörper ohne Zukunft. Unser Aufenthalt,
Bruder, ist mit herben Zinsen geliehen. Wir haben kein Schicksal. Paris scheißt
auf solche wie uns.
    Ach was, sagte Karl, erstens solltest du nie für uns beide reden, zweitens nicht so einen Schmarren , drittens – wir sind jung! Und Jugend ist das
Entree-Billett – überallhin!
    Karl sah sich bald gezwungen umzudenken. Junge Frauen, das
stimmte, waren überall und von Herzen willkommen. Junge Männer eher nicht. Es
sei denn in gewissen Kreisen, von denen Max etwas verstand, Karl aber auf
keinen Fall etwas verstehen wollte. Max’ Bisexualität war ihm ein Symptom der
Décadence, eine ekelhafte Verirrung, und oft fragte er den Bruder, halb erzürnt
und halb ängstlich, wie denn um Himmels Willen ein Zwilling solch eine Neigung
entwickeln könne und der andere nicht? Max entgegnete, breit grinsend, das habe
er dem Privatunterricht des Herrn Fink im Jesuitenkolleg zu verdanken. Wenn
Jonathan Fink damals dich attraktiver gefunden hätte, wäre es heute
andersherum, wahrscheinlich.
    Das ist Quatsch, nie im Leben! Karl wies die Möglichkeit entschieden
von sich. Und wollte darüber nicht weiter debattieren. Denn hundertprozentig
sicher war er sich eben auch nicht. Er glaubte zu Max’ Gunsten, daß der nicht
wirklich Spaß daraus bezog, mit Männern zu schlafen. Wahrscheinlich lebt er
irgendein Trauma aus – und schläft mit Männern, um für diesmal nicht der Ausgebeutete zu sein. So oder ähnlich reimte sich Karl die Perversion
seines Bruders zusammen.
    Max genoß es, endlich wieder verruchte Lokale betreten zu können,
ohne Angst vor einer Verhaftung zu haben. Um Ellie machte er sich dabei keine
Gedanken, das war eine Sache unter Männern, die sie nichts angehen mußte. Er
begann in der bei Päderasten sehr beliebten Cosy-Bar , erkundigte sich
dort nach anderen Lokalitäten, in denen Gleichgesinnte zusammenkamen – das Vertige und Roland – und ging immer zur besten der genannten Adressen, wo er sich wiederum neue
Lokalitäten nennen ließ usw. Bis er Zugang zu Kreisen fand, in denen
Freundschaften zu knüpfen sich effektiv lohnte. Max hatte im Schaufenster
nichts als seinen straffen, schlanken Körper, jenes bereits erwähnte schmucke
Geschlechtsteil und ein stilles, höfliches, auch, wenigstens dem Anschein nach,
diskretes Wesen, zu dem viele Homosexuelle Vertrauen faßten. Auf diese Weise
bekam er eine Stellung angeboten. Er bat sich Bedenkzeit aus.
    Karl suchte unterdessen Kontakt zu kommunistischen
Emigranten. Ihm schwebte ein Redakteursposten in irgendeiner der vielen
deutschsprachigen Exilzeitungen vor. Er probierte es beim Pariser Tageblatt , beim Neuen Vorwärts ,
bei der Sozialistischen
Warte und etlichen anderen. Aufgrund seines Alters und der daraus
abzuleitenden Unerfahrenheit nahm
man Karl eher als Belästigung denn als Bereicherung wahr – und nie für voll.
Die noch beste Offerte bestand in einem Volontariat, das arbeitsintensiv, doch
kaum bezahlt sein würde. Er könne auch Nachhilfestunden geben, in diversen
Fächern, lautete mehrmals sein letzter, fast geflüsterter Vorschlag, bevor man
ihn freundlich, aber bestimmt, vor die Tür setzte. Karl zeigte sich über die
geringe Solidarität, die ihm entgegengebracht wurde, irritiert. Er mußte zwar
zugeben, daß es sehr viele ältere und erfahrenere Genossen gab, die im schönen
Paris ums Überleben kämpften, aber die Art, wie man auf ihn zu
verzichten können glaubte, besaß etwas tief Demütigendes.
    In
Berlin waren derweil, am 19. Februar 1935, zwei adlige Frauen, Benita von
Falkenhayn und Renate von Natzmer, hingerichtet worden, wegen nachgewiesener
Spionage und Landesverrats. Sie hatten der polnischen Armee einen möglichen
deutschen Aufmarschplan verraten. Der polnische Generalstab hatte die
Information allerdings zu keinem Zeitpunkt ernstgenommen, denn wie sollten
ausgerechnet Frauen Zutritt zu militärischen Geheimnissen

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