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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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und hatte an dem jungen Deutschen sofort Gefallen gefunden. Hitler
hielt er für einen spleenigen, aber fähigen Mann, um den die schlappgewordenen Franzosen
Deutschland beneiden müßten. Einen baldigen Krieg zog der Marquis nicht in
Betracht, das sei nur Säbelrasseln und Emanzipationsgehabe. Nein, der Frieden
von Versailles sei für die Deutschen sehr ungerecht gewesen, das habe er dem
alten Clemenceau oft ins Gesicht gesagt. Es sei ganz natürlich, wenn ein derart
unritterlich behandeltes Kulturvolk sich eine Rächergestalt suchen würde für
die Satisfaktion. Aber selbstverständlich wüßten alle europäischen Nationen,
daß sie sich eine Katastrophe wie den Weltkrieg kein zweites Mal leisten
könnten. Und war dieser Weltkrieg nicht komplett sinnlos gewesen?
    Lieber Max, fragen Sie die Kinder auf der Straße, worum es bei
diesem Krieg eigentlich gegangen ist! Die wüßten es nicht, und zu Recht, denn
es ging doch um nichts. Wegen nichts mußten so viele Menschen sterben. Da ist
das Erstarken des Nihilismus doch nachzuvollziehen, ebenso die Abkehr von der
Tonalität in der Musik. Jetzt berufen sich selbst die spanischen Anarchisten
auf Nietzsche, weil sie in ihm nicht den großen Konservativen erkennen. Er hat
ja die Werte nicht zertrümmert, weil er gegen Werte war. Er hat die falschen
Werte zertrümmert und neue gefordert, aus Liebe zum Menschen. So steht es im
Zarathustra. Ich liebe die Menschen, trotz ihrer Fehler. Sinngemäß. Stimmen Sie
mir zu?
    Max sagte jeweils Ja und Amen, um seinen Brotgeber nicht zu
verärgern. Ob Nietzsche die Menschen wirklich geliebt hatte oder nur den
Menschen an sich – eine schwierige Frage.
    Nietzsche habe jedenfalls nichts mit Antisemitismus zu tun gehabt,
während Hitler –
    An dieser Stelle unterbrach ihn der Marquis. Das mit den Juden –
eine Schrulle, gewiß, aber doch keine, die von heute auf morgen entstanden sei.
Religion ist Schwachsinn. Jede. Immer. Aber die der Juden sei schon besonders
unappetitlich. Sie hätten viele Jahrhunderte Zeit gehabt, sich von ihren
Bräuchen loszusagen, von ihren ekligen Hüten und schwarzen Mänteln und
Schläfenlocken Abstand zu nehmen. Ihre Halsstarrigkeit, ihr dämlicher Glaube,
Gottes erwähltes Volk zu sein, sei doch zum Kotzen. Wenn es ein erwähltes Volk
gebe, dann die Deutschen, siehe ihre Komponisten, Dichter und Philosophen.
Nicht zu vergessen ihre naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger. Und es sei
nun einmal Tatsache, daß der Jude an sich den Goi als Feind betrachte, den man
übervorteilen müsse. Das könne man schwarz auf weiß im Talmud nachlesen. Gerade
die französische Kultur würde schwer leiden unter dem Einfluß
pseudointellektueller Juden. Wenn Hitler auch blind um sich schlage, wie jeder
paranoide Emporkömmling, würde es doch ganz Unschuldige nicht treffen. Oder?
Max wagte nicht zu widersprechen, zumal er vor nicht allzulanger Zeit noch
recht ähnlich gedacht hatte. Inzwischen war sein Weltbild in der Rassenfrage
moderat. Etliche jener deutschen Komponisten, Dichter und Philosophen, auch
Naturwissenschaftler – seien doch Juden gewesen.
    Hätte er gesagt, hättte ihm der Sinn nach Einspruch gestanden. Was
Paulignac von sich gab, war nur folgenloses Gerede. Ohne Visum für
Konsequenzistan. Wenn man den Zeitungen Glauben schenken durfte, entspannte
sich die Lage der deutschen Juden zunehmend.
    Der Marquis meinte dann noch, er habe angeregt, daß bei der
Olympiade nächstes Jahr in Berlin die französische Delegation, als Zeichen des
Respekts gegenüber dem Gastgeber, den rechten Arm zum deutschen Gruß erheben
solle. Eine kleine, taktisch gemeinte Geste, aber es seien oft kleine Gesten,
die große Kriege verhindern könnten. Er habe sich zwar mit dieser Meinung im
Komitee bisher nicht durchgesetzt, arbeite aber daran. Frankreich und
Deutschland, diese angeblichen Erbfeinde, könnten zusammen die Welt
beherrschen, könnten die blasierten Engländer zum Teufel jagen und den
geknechteten Menschen in Rußland die Freiheit schenken.
    Daß der Kommunismus das Allerletzte und Abscheulichste sei,
wenigstens darin waren sich Max und der Marquis einig. Max fürchtete sich vor
der Frage, warum genau er hier in Paris herumlungere, warum er nicht aktiv am
neuen Deutschland mitarbeite.
    Hitler
mag keine Schwanzlutscher.
    Hätte er gesagt. Die Hinrichtung Ernst Röhms, des schwulen SA -Chefs, und seiner vermeintlich päderastischen
Putschisten sei Grund genug, die kommenden Entwicklungen lieber aus sicherer
Warte zu

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