Nicht ganz schlechte Menschen
Max hätten nun nur noch mit besonderer Genehmigung heiraten können.
Für die Entscheidung darüber wären die »körperlichen, seelischen und
charakterlichen Eigenschaften des Antragstellers, die Dauer der Ansässigkeit
seiner Familie in Deutschland, seine oder seines Vaters Teilnahme am Weltkrieg
oder seine sonstige Familiengeschichte« zu beurteilen gewesen.
Eine
Heirat im Ausland unter Umgehung des Gesetzes konnte für den Mann (und nur für
den Mann) eine Haftstrafe nach sich ziehen.
Aber von Heirat wurde sowieso nicht gesprochen.
Zwischen Max und Ellie war ein seltsamer Beziehungsstatus
entstanden, beide wußten nicht genau, ob sie noch zusammen waren oder nicht,
und beide vermieden es, sich einer Debatte darüber auszusetzen. Nachts
schliefen sie zusammen in einem Bett, wobei es oft zu spontanen Gerangeln kam,
jedoch ohne amouröses Kolorit oder Liebesbekenntnis. Sie wollten einander nicht
endgültig verlieren und dennoch keine Rücksicht nehmen müssen auf den anderen.
Ellie beherrschte immer noch kaum zehn Worte Französisch, aber ihr Englisch war
passabel. Sie ließ sich auf den Boulevards von Touristen ansprechen, gab sich
nichtsahnend und ging mit ihnen aufs Hotel, stellte sich dann als mittellos und
bedürftig dar, womit sie, statt feste Tarife zu nennen, auf unverfängliche
Spenden hoffte. So wähnte sich Ellie auf der sicheren Seite, ohne bei den
Behörden einen Bockschein beantragen zu müssen, der ihr als Ausländerin sowieso
nie erteilt worden wäre. Max würde, vermutete sie, von ihren Geschäften nichts
wissen wollen. Sie erzählte ihm deshalb auch nur, was er zu hören begehrte, daß
sie sich wieder stundenlang in den großen Kaufhäusern herumgetrieben, sich
viele schöne Dinge nur angesehen und endlos gelangweilt habe. Max steckte ihr
hin und wieder Geld zu. Es abzulehnen hätte sein Mißtrauen erregt, also nahm
Ellie es an und deponierte es in einer Schublade, für kommende magere Zeiten.
Karl und Max betrachtete sie als Familienmitglieder. Man muß nicht jedes
Familienmitglied lieben. Karl auch nur zu mögen, dazu hatte nie ein Grund
bestanden. Zu oft war Ellie von ihm geringschätzig behandelt worden, mit einer
gewissen kaum überspielten Verachtung. In letzter Zeit allerdings verhielt er
sich auffallend freundlich zu ihr, und eines Tages, als sie beide lange
ausgeschlafen hatten, Max mit den Hunden unterwegs war und die erste
Frühlingssonne durch die Fenster drang, stand Karl in Unterhosen vor Ellie und
bat um eine Umarmung. Ihm sei so hundeelend.
Karl Loewe litt unter Einsamkeit und Depressionen. Er küßte Ellies
Hals und hielt sie fest, preßte seine Hände auf ihre Brüste. Er habe, sagte er,
dem ältesten Gewerbe der Welt oft nicht den nötigen Respekt entgegengebracht.
Ob sie stolz auf ihren Beruf sei und demnach eine Sache rein unter
professionellen Aspekten betrachten könne, würdevoll und mit aller gebotenen
Diskretion?
Warum? Willst du mich ficken?
Ja. Bitte.
Das fände Max bestimmt nicht gut.
Er muß es nicht erfahren.
Ellie wußte weder aus noch ein. Instinktiv hielt sie es für richtig,
Karl abzuweisen. Andererseits drohten Konflikte, egal, wie sie sich verhalten
würde. Am liebsten wäre es ihr gewesen, Karl hätte von sich aus dem frivolen
Spiel ein Ende gemacht, aber der dachte gar nicht daran, hielt Ellie fest
umklammert und bettelte.
Ich kann dir doch Geld geben, zischte er in ihr Ohr. Ellie stieß ihn
zurück. Man scheißt nicht da, wo man ißt! – Geld stinkt aber nicht! – Wenn du
Geld ausgeben willst, in Paris gibt es jede Menge Möglichkeiten. –
Aber ich will doch – sagte Karl, dann sagte er nichts mehr, denn
Ellie hatte ihm die Hand auf den Mund gepreßt. Die ganze Zeit dachte sie nach,
wog Für und Wider ab. Ihr tat der arme Junge ja leid. Sie nahm ihren Schal, die
Mütze und den Mantel und stürzte ins Freie hinaus. Das Ganze war einfach nicht
geschehen, und gut.
Für Karl war gar nichts gut. Er brannte darauf, sein Leben
endlich auf Wirkung anzulegen. An der Sorbonne mehr als nur pro forma
französisches Recht zu studieren, darin sah er keinen Sinn, die günstigen
Mensa-Mahlzeiten einmal abgerechnet. Die Juristerei war sowieso eine Schnapsidee
gewesen. Nun mußte er auch noch Angst haben, daß Ellie ihn verriet und sein
Verhältnis zum Bruder daraufhin vergiftet wäre. Woran Ellie zum Glück im Traum
nicht dachte. Allerdings erwähnte sie gegenüber Max einmal, daß Karl wohl
einsam sei und bedrückt, daß er die zärtliche Berührung einer
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