Nicht ganz schlechte Menschen
alldieweil er
mich längst loswerden, gegen jemand Geeigneteren eintauschen möchte.
Sie lag mit ihrer Einschätzung nicht völlig falsch. Max zweifelte
inzwischen tatsächlich daran, daß Ellie der richtige Umgang für ihn sei,
abseits der unvermindert sexuellen Attraktion. Daß sie seinen Roman, vielmehr
die erste Seite eines Romans, der nie zu Ende geschrieben, ja nicht einmal
weitergeschrieben wurde, mit so hilflosen Phrasen wie klangvoll, nur irgendwie naja bedacht hatte, war für Max der letzte Auslöser gewesen, an Ellies
Gefährtinnenfähigkeit zu zweifeln. Hart kritisieren hätte sie ihn, keine
Rücksicht nehmen müssen, sofern ihr etwas mißfiel. Oder aber, da war er
unsicher, loyal und begeistert sein. Jedenfalls hätte sie irgendeine ihn
unterstützende Haltung annehmen müssen; er wollte eine Frau an seiner Seite,
die ihn so oder so vorwärtsbrachte.
Die Krise verflog. Je länger Max darüber nachdachte, desto besser
stand Ellie vor ihm da. Schließlich hatte sie ihn ja hart, beinahe vernichtend kritisiert,
ohne indes durch aufgeschnappte Phrasen vorzutäuschen, das dafür nötige
Vokabular zu besitzen. Er glaubte, wollte glauben, daß Ellie auf ihre Weise
ehrlich zu ihm war und liebevoll. Und ihre fehlende Bildung, ihre Weigerung,
endlich ernsthaft die französische Sprache zu erlernen – nun, dachte er, sie
ist ungebildet, aber auf ihre Weise klug, und oft kommt etwas aus dem Bauch
ahnungsloser Frauen treffender daher als aus dem Hirn verquaster und
halbgebildeter Männer. Vielleicht, dachte Max, stelle ich die falschen
Ansprüche, beschwere mich zuviel – und freue mich zuwenig, an dem, was sie ist.
Geising wollte Ellies Brüder gerne einmal kennenlernen.
Sie redete sich bevorzugt damit heraus, daß es sich bei den beiden um junge,
eher schlicht geschnitzte Naturen handelte, die recht wenig Verständnis dafür
aufbringen würden, daß ihre Schwester ein Verhältnis mit einem verheirateten
Mann begonnen hatte. Das leuchtete
Geising ein. Manchmal schien er ganz und gar vergessen zu haben, daß er
jenseits aller gesellschaftlichen Konventionen unterwegs war, und wenn es ihm
dann doch wieder einfiel, entlockte es ihm ein breites Grinsen, das seine
Selbstzufriedenheit nur andeuten konnte. Was er an Ellie besonders schätzte,
war ihre Sauberkeit. Damit war nicht, oder nicht nur, ihre Körperhygiene
gemeint. Ellie wußte, welches Wässerchen sie benutzen mußte, damit es zwischen
ihren Schenkeln stundenlang nach grünen Äpfeln roch. Wobei Max das mißbilligte.
Sie sei doch keine Obstplantage, sie solle nach Sünde und Begierde riechen,
nach nichts anderem. Für Pierre Geising war Ellie die Reinheit in Person, das
komplette Gegenteil einer käuflichen Frau, bei der man Angst haben mußte,
Absonderungen diverser Vorgänger zu erschnuppern.
Er kaufte seiner Geliebten einen schicken Ledermantel, der
Ellie gleichermaßen entzückte wie in Erklärungsnöte trieb. Ein warmer Mantel im
Winter ergab zwar Sinn, durchaus, die Anschaffung eines solch teuren, beinahe
extravaganten Kleidungsstücks hätte Karl und Max gegenüber dennoch begründet
werden müssen. Ellie verfiel, nach stundenlangem Grübeln, auf die Idee, zu
behaupten, sie habe den Mantel in einem Waggon der Metro gefunden und an sich
genommen. Mehr als nur irritiert registrierte sie, wie gleichmütig und
bereitwillig ihr diese Geschichte abgekauft wurde. Karl meinte nur, da habe sie
aber Glück gehabt. Max, der doch Lunte wittern, sie – anders als Karl, den das
moralisch nichts anging – zumindest des Diebstahls oder Unterschleifs hätte
beschuldigen, ihr lebhaft ins Gewissen reden müssen, reagierte so gut wie gar
nicht, als sei das Ganze selbstverständlich und bedürfe keinerlei Kommentars.
Wirklich dachten die Loewe-Brüder, jeder für sich, in anderen Sphären, und ein
Mantel, ein wenn auch noch so nützlicher, doch toter Gegenstand, ein Ding,
nicht mehr, wie teuer auch immer, zog an ihrer Wahrnehmung spurlos vorüber.
Weihnachten nahte, und Ellie legte Wert darauf, die
Wohnung heimelig auszugestalten. Sie bastelte aus rotem und gelbem Papier, aus
dem sie Sterne und Mondsicheln schnitt, Folien für die Fenster, stellte
zusätzliche Kerzen auf, brannte Räucherstäbchen ab, bemalte, gekonnt, eine weiße
Wand mit einem Christbaum samt Christbaumkugeln, und am heiligen Abend kochte
sie Kaninchenschenkel in Tomaten-Knoblauchsoße, mit Kartoffelklößen und
Ratatouille aus dem Einweckglas. Karl schrieb darüber einen kleinen Artikel,
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