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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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schildern.
    Zanoussi hörte zu, dann ergriff er die Initiative, sprach
davon, daß die meisten Menschen zu dumm, banal, kurzum nicht geeignet seien für
das Wort ,
in der Tat aber reüssieren könnten. Sprich: für die Idee der Freiheit wollten zu viele
Halbtalentierte aufklärerisch wirken und als Lehrer gefeiert werden, statt
sinnvolle Blutarbeit zu erledigen und mit einem Fanal in die Geschichte
einzugehen.
    Ach ja? Hörte Karl sich sagen und gab sich leicht beleidigt.
    Doch doch, das sei so, meinte Zanoussi. Es sei geschichtlich oft
notwendiger, den Feind taktisch-brutal zu enthaupten, als ihm
strategisch-theoretisch entgegenzutreten. Hitler sei ohne Zweifel ein
bemerkenswerter Feind, dem man Respekt zollen müsse. Wenn Karl bei Gelegenheit
etwas historisch Bemerkenswertes tun wolle, dann solle er auf seinen
Lebenserhaltungsinstinkt pfeifen und Hitler mit in den eigenen Tod reißen. Das
sei eine klar umrissene Aufgabe, die ewigen Nachruhm verspreche.
    Karl war amüsiert – und auch geschmeichelt. Wie oft hatte er
jemandem gegenübergesessen, der ihn für fähig hielt, etwas historisch
Bedeutsames zu vollbringen?
    Hitler jetzt zu ermorden, wendete Karl ein, würde aber bedeuten, dem
Feind einen großen Märtyrer zu schenken.
    Du Idiot, du selbstgefälliger Winsler, zischte Zanoussi, du bist am
Ende keinen Deut besser als irgendein ahnungslos-verblendeter Hitlerjunge,
verzieh dich, du arbeitest den Braunhemden in die Hände.
    Dergleichen mochte Karl nicht auf sich sitzen lassen. Warum er denn
nicht selbst tätig werde, fragte er den Prediger. Zanoussi gab zur Antwort, er
sei den Behörden weidlich bekannt, als Unruhestifter, Querulant und Querdenker,
er könne dem Tyrannen niemals so nahe kommen wie ein noch junger Mann, ein
unbeschriebenes Blatt.
    Du müßtest einfach nur mit einem Blumenstrauß vor ihn hintreten, aus
dem Blumenstrauß eine geladene Pistole ziehen, auf ihn richten, den Zeigefinger
ein paarmal bewegen und wärst für immer ein Held der Geschichte. Was würdest du
dafür denn opfern müssen? Ein paar Jahre halbgaren Lebens. Wer weiß, wieviele
Leben du retten würdest, im Tausch für dein eigenes.
    Selten war Karl mit so eindeutigen Forderungen an sich selbst
konfrontiert gewesen. Das machte Spaß. Klar und einleuchtend fand Karl die
Sache aber nicht. Würde Hitler einen, der als Jungkommunist verhaftet und
drangsaliert worden war, jemals auf Schußnähe an sich herankommen lassen? Und
wer, bitte wer, konnte mit Gewißheit sagen, daß es zum Krieg kommen würde? Hitler
konnte das nicht ernsthaft vorhaben. Einen Krieg gegen Frankreich, England und
Polen – und wer weiß gegen wen noch? Oder?
    Zanoussi zündete sich eine selbstgedrehte Zigarette an und winkte
Karl verschwörerisch zu sich, bis beider Stirnen sich beinahe berührten.
    Krieg oder nicht, das steht nicht fest. Aber Hitler wird
die Juden töten. Alle, die er schnappen wird. Du wirst es erleben und dich an
mich erinnern.
    Karl nickte – und sah erleichtert ein, daß er an einen Verrückten
geraten war. Offensichtlich hielt nicht einmal der große Vorsitzende Stalin es
momentan für opportun, Hitler umzubringen. Und für jemanden wie ihn, mit seinen
Möglichkeiten, wäre das ja wohl die leichteste Übung. Nur Stalin wußte exakt,
warum er stillhielt.
    Denkbar war, daß er die Deutschen nicht reizen wollte. Falls es doch
irgendwann zum Krieg käme, wäre es Stalin vielleicht lieber, die Deutschen
würden von jemandem wie Hitler geführt, statt von einem fähigeren Menschen.
Denn Karl hielt von Hitlers Talent längst nicht so viel, wie fast alle anderen
das inzwischen taten. Hitler hatte, fand er, bisher einfach Glück gehabt.
Sagenhaftes Glück. Und den Mut der Frechheit. Eine durchschlagende Kombination.
Warum sollte Hitler die Juden denn töten ? Aus denen soviel Geld herauszupressen war. Und
wenn sie kein Geld mehr besaßen, konnte man ihre Körper versklaven, als billige
Arbeitskräfte gebrauchen.
    Du redest Unsinn, sagte Karl, er gebrauchte nun selbst das Du –
bewußt respektlos. Hitler mag fanatisch sein und dumm, aber doch nicht
geisteskrank. Selbst wenn er es wäre, so stünde hinter ihm doch ein Kulturvolk,
das sich nicht alles gefallen ließe, egal wer ihm Befehle gibt –
    Zanoussi fiel ihm ins Wort. Karl hege seltsame Vorstellungen. Die
Verbindung von Volk und Kultur sei ein Paradox, ein Widerspruch in sich selbst.
Kultur sei immer die Sache von Individuen, das Volk, jedes, sei mitgeschleppter
Müll, allenfalls

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