Nicht ganz schlechte Menschen
damit er in drei Spalten paßte. Aber für
Karl besaß die Publikation enorme Bedeutung, er hatte endlich Geld verdient,
konnte sich reinen Gewissens einen Journalisten nennen, und seine schlechte
Laune war prompt verflogen.
Ob er ein guter Schachspieler sei, wollte Marius Müller noch
wissen. Karl wußte keine Antwort zu geben, er hatte kaum
Vergleichsmöglichkeiten. Marmaton war beileibe kein Maßstab gewesen. Zu
bescheiden wollte Karl ja auch nicht wirken, vielleicht ließ sich mit dem
Schach wieder einmal etwas verdienen. Deshalb nickte er. Kurz, aber
entschieden.
Soso, meinte Müller. Und wünschte ihm noch einen guten Tag.
Karl hielt an der Tür inne.
Spielen Sie selbst?
Ich? Nein, keine Spur.
Karl verließ das Gebäude über den Hinterhof.
Kommunisten waren der Pariser Polizei verhaßt, und wenn ein Detektiv
beobachtete, daß man die Redaktion einer kommunistischen Zeitung betrat oder
verließ, konnte man sich großen Ärger einhandeln. Fast alle Kommunisten waren
deshalb offiziell als weniger verhaßte Sozialisten unterwegs.
Der Herbst ’35 brachte keine größeren Veränderungen. Die
drei jungen Deutschen hatten gelernt, bescheiden zu leben, und waren erstaunt,
wie lange man sich auch von recht wenig Geld über Wasser halten kann, wenn der
Speiseplan größtenteils aus Reis und Nudeln besteht, die man in schweren Säcken
in Außenbezirken zum Sonderpreis kauft. Ellie gönnte sich inzwischen einen
regelmäßigen Liebhaber, ohne dessen Zuwendungen es für eine gewisse Lebenswürde
dann doch nicht gereicht hätte. Sie hielt das Verhältnis vor Max geheim, der
seine Augen anscheinend verschloß und so tat, als würde er nichts ahnen.
Tatsächlich ahnte er nichts, was Ellie nach und nach beinahe wie eine
Beleidigung empfand, als Desinteresse an ihrer Person. Pierre Geising war
Besitzer eines kleinen Hotels am Gare du Nord und unglücklich verheiratet. Er
sprach als gebürtiger Elsässer ein grammatisch makelloses Deutsch mit leichtem
Akzent. Und er war mütterlicherseits gebürtiger, wenn auch konvertierter Jude,
weshalb er für Ellie, mit der er zum ersten Mal im Kaufhaus Samaritaine, in der
Abteilung für Damenwäsche, angebandelt hatte, nicht nur Begierde, sondern auch
Loyalität empfand. Ellie behauptete, mit zwei Brüdern zusammenzuleben, die bei
Nacht und Nebel, in letzter Sekunde, vor den Nazis geflohen seien. Was, für
sich genommen, nicht gelogen war. Bis auf den Nebel und die letzte Sekunde.
Pierre Geising gab einen Wunschfreier ab, den Ellie sich nicht besser hätte
malen können. Aus Furcht vor Geschlechtskrankheiten ging er nie zu
Prostituierten. Und Ellie, mit allem Raffinement, mit einer ingeniös zu
nennenden Fähigkeit, die Situation richtig zu beurteilen, spielte die züchtige,
schwer zu erobernde Frau. Hielt den knapp vierzigjährigen, recht schmuck
aussehenden Mann, was sonst nicht ihre Art war, lange hin, bevor sie seinem
Drängen endlich nachgab. Hinterher weinte sie sogar, ließ sich trösten. Immer war
in Geisings Hotel, dem Monbijou , irgendein Zimmer frei. Und nie ging sie von ihm
fort, ohne ein Geschenk erhalten zu haben. Als Pierre sie fragte, ob sie sich
eventuell zu einer Intimrasur entschließen könne – sie mit der Zunge zu
verwöhnen war ihm lieber als alles –, tat Ellie erst empört, dann zaghaft
neugierig, halb einverstanden, bis sie sich, unter viel Getue und Geziere, in
der Badewanne von ihm rasieren ließ – und eine Liebeserklärung erhielt.
Glücklicherweise war Pierre von seiner vermögenden, aber gefühllos
gewordenen Frau abhängig. Ellie wußte in jedem Moment, daß ihr Status einer
Mätresse nie, vielleicht nicht nie, aber vorerst doch sicher nicht, bedroht
sein würde. So konnte sie Pierre problemlos eingestehen, wie sehr auch sie ihn
liebe. Keine Sekunde plagte Ellie ein schlechtes Gewissen Max gegenüber. Sie
war nun mal eine Hure, das stand außer Zweifel. Doch hätte sie nie einen
Gedanken an den letztlich eher uninteressanten Menschen Pierre Geising
verschwendet, wäre es nicht darum gegangen, dringend notwendiges Geld zu
verdienen. Ihrer Logik gemäß mußte sie sich keine Vorwürfe machen. Und hätte
doch gerne von Max Vorwürfe irgendeiner Art gehört. Er schlief nur noch selten
mit ihr, dann jedoch mit Leidenschaft und laut, als hätte sich zwischen den beiden
nichts verändert. Sie wurde daraus nicht recht schlau.
Vielleicht bin ich für Max nicht schlau genug, dachte Ellie,
vielleicht benutzt er mich hin und wieder, aus der Not heraus,
Weitere Kostenlose Bücher