Nicht ganz schlechte Menschen
den
Juden das Betreten des deutschen Waldes verboten, wurden größtenteils
abgehängt. Und es existierte sogar eine Anweisung des Reichsführers- SS an die Gestapo, die verbot, in den nächsten Wochen
gegen irgendeinen Ausländer wegen des §175 (Homosexualität) ohne seine
persönliche Genehmigung auch nur mit einer Vernehmung oder Vorladung
vorzugehen.
Max blieb dabei. Geldgier dürfe kein Beweggrund sein,
unkalkulierbare Risiken einzugehen. Karl wies den Verdacht der Geldgier weit
von sich. Er brauche zwar Geld, und dringend, das schon, aber doch nur, um
Kapital für etwas Eigenes zu haben, für die Fahrt nach Spanien zum Beispiel. Es
war das erste Mal, daß er Max gegenüber dieses Ziel erwähnte.
Was willst du denn in Spanien?
Dabeisein, wenn es losgeht.
Wenn was losgeht?
Karl gab keine Antwort, lieh sich, ungern, aber was blieb
ihm übrig, von Ellie das Reisegeld und fuhr am 29. März 1936 mit dem Nachtzug
nach Saarbrücken. Wie alle aus Frankreich einreisenden Deutschen wurde er einer
strengen Paßkontrolle unterworfen. Und prompt verhaftet. Er mußte anderthalb
Tage in einer ungeheizten Zelle verbringen, bevor der Anwalt Dr. Malies
telegraphisch für ihn bürgte. Das Ganze entsprang nicht etwa, wie man annehmen
könnte, faschistischer Willkür. Es war viel verrückter.
In Deutschland hatten die Dresslers Strafanzeige gegen Karl Loewe
gestellt. Durch einen Besuch beim Grundbuchamt hatten sie herausbekommen, daß
Marie beim Verkauf der Weddinger Wohnung übers Ohr gehauen worden war. Auch
wenn Maries halber Besitzanspruch nie von einem Notar beglaubigt wurde, so gab
es doch ein von Karl Loewe unterzeichnetes, schriftliches Versprechen, quasi
eine Urkunde, in der er Marie die Immobilie zur Hälfte überschrieben hatte.
Marie Dressler standen demnach noch dreitausend Reichsmark zu. Auch war, fanden
die Eltern, ein Kranzgeld fällig, denn Marie hatte sich Karl im guten Glauben
an eine baldige Eheschließung hingegeben, sich sonst ja nichts zuschulden
kommen lassen und sei ohne schwerwiegenden Grund zur Lösung der Verlobung
gedrängt worden. Ihre ramponierte sittliche Ehre verlange nach einer
finanziellen Beschwichtigung. Karl Loewes Anwalt, ebenjener Leipziger Dr.
Malies, ein, wie sich herausstellte, skrupelloser Winkeladvokat, riet seinem
Mandanten dazu, die Unterschrift unter der maschinengeschriebenen
Abtrittserklärung als Fälschung zu bezeichnen. Das genüge, um erstmal Ruhe zu
haben. Um den Rest müsse er sich keine übertriebenen Sorgen machen, denn so
etwas wie ein Kranzgeld sei praktisch nicht mehr justiziabel in der modernen Zeit. Marie Dressler hätte
schon beweisen müssen, daß sie erstens ihre Jungfräulichkeit nicht vorher schon verloren und
zweitens den vorehelichen Beischlaf mit der strikten Bedingung einer künftigen
Heirat verknüpft hätte. Da würde am Ende Aussage gegen Aussage stehen. Sollte
es zum Prozeß kommen, könne man immer noch einen Vergleich anstreben.
Karl hätte erleichtert sein können, und war es keineswegs. Die
Beschuldigung bestand ja völlig zu Recht, er hatte Marie um dreitausend Mark
betrogen, aus der Not heraus, um sich und dem Bruder eine Zukunft zu
ermöglichen – und weil die Dresslers das Geld nicht wirklich verdient hatten.
Irgendwie war das in Ordnung gewesen. Aber die ehrbaren Brotbäcker nun zu
bezichtigen, sie hätten eine Unterschrift gefälscht, schien ihm so gar nicht in Ordnung,
widerstrebte seinem Gewissen. Er wußte nicht ein noch aus, andererseits konnte
er auch keinen Sinn darin entdecken, ins Gefängnis zu gehen. Davon würde nichts
und niemand etwas haben, sah man von der Rachsucht der Dresslers einmal ab.
Schlußendlich befolgte er den Rat seines Anwalts und kam relativ ungeschoren
aus der Sache heraus. Um den Preis eines beschädigten moralischen Selbstbilds.
Immer hatte er an sich hochsehen können, sogar als er den Nazis geschworen
hatte, sich nicht mehr auf der ›falschen‹ Seite politisch zu engagieren – das
war eine durchaus erlaubte Taktik gewesen, um Folter und Verfolgung zu
entgehen. Die Dresslers, die sich den ungewiß gewordenen Gang vor Gericht weder
leisten konnten noch wollten, zeigten sich mit einer freiwilligen und
einmaligen Zahlung von sechshundert Reichsmark zufrieden und zogen die
Strafanzeige zurück. Jene sechshundert Reichsmark streckte Dr. Hans Malies vor,
der sich aber im Gegenzug von Karl Loewe ein Dokument unterschreiben ließ, das
ihm vierzig Prozent der Erbschaft sicherte.
Max fand es sonderbar, wie sehr
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