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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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leider. Auf einem Presseempfang
für 1200 Journalisten wies Dr. Joseph Goebbels den Vorwurf, man wolle mit den
Spielen Propaganda für den Nationalsozialismus machen, von sich, mit den
Worten: »Wenn es so wäre, würde ich es wissen.«
    Die
wichtigsten Wettkämpfe wurden, das war eine sensationelle Novität, vom
Fernsehen in fünfundzwanzig Berliner
Fernsehstuben
übertragen. Zum Star und
    bejubelten Publikumsliebling der Spiele wurde der
amerikanische Neger
Jesse
Owens, mit für unglaublich gehaltenen 10,2 Sekunden im Hundertmeterlauf. Einige
linke Zeitungen strichen heraus, daß Hitler Jesse Owens nicht zu seinen Siegen
gratuliert habe, während andere betonten, daß ihm dies aufgrund des Regelwerks
gar nicht erlaubt gewesen sei. Für die Deutschen trat die aus dem
kalifornischen Exil angereiste, zuvor emigrierte, weil halbjüdische Florettfechterin
Helene Mayer an (sie betonte, es sei eine Ehre, ihrem Heimatland zu dienen –
und gewann eine Silbermedaille, woraufhin sie von Hitler als die
beste und
    fairste Sportlerin der Welt
bezeichnet wurde), außerdem der populäre Ringer
Werner Seelenbinder, der als Kommunist bekannt war.
    Alle
Wettkämpfe fanden in entspannter Atmosphäre statt. Für gut zwei Wochen blickte
die Welt nach Berlin, und viele Korrespondenten zogen ein überraschendes Fazit.
Man habe sich dort wohlgefühlt und kehre rundum beeindruckt zurück. Am Ende
sorgte einzig der Medaillenspiegel für eine gewisse propagandistische Note.
Denn Deutschland hatte in so einschüchternder Art den Sieg davongetragen, mit
89 Medaillen gegenüber 56 der USA und 16 des Überraschungsdritten Ungarn, daß
die Nazis die angebliche Überlegenheit der arischen Rasse nicht einmal groß
herausstellen mußten, die blanken Zahlen sprachen mehr und überzeugender als
alle Reden des Herrn Goebbels.
    Spanien hatte seine Mannschaft aufgrund des Bürgerkriegs
im letzten Augenblick zurückgezogen, die dortigen Zeitungen berichteten
deswegen eher leidenschaftslos und wertneutral über die sportlichen Ereignisse
in Berlin. Was in Karl das pure Entsetzen auslöste, denn anders als viele
seiner Zeitgenossen begriff er sofort, welche Macht die zuverlässig gemessene
Zahl besaß. Ihr wurde, im Gegensatz zu noch so raffiniert ausgedachten Sätzen,
bedingungslos vertraut. Sie war eine feste Größe, eine mit keinem rhetorischen
Mittel angreifbare Konstante. Er wußte, was andere nur ahnten oder befürchteten:
Hitlerdeutschland hatte, was sein Ansehen in der Welt betraf, reichlich Boden
gutgemacht. Daß den Nazis so gar kein verwertbarer Fehler unterlaufen war,
ärgerte ihn maßlos. Aber was hätte man tun sollen? Das Spektakel schweigend
ignorieren? Das hätte sich womöglich noch schlimmer ausgewirkt.
    Max, weil er viel Zeit hatte, die auf irgendeine Weise
abgetötet werden mußte, verfolgte in den Pariser Kinos die Wochenschauen,
obschon ihn Sport nicht sonderlich interessierte. Der Herdenmensch war für ihn
ein viel zu fragiles, unvollkommenes Wesen, um mit anderen Herdenmenschen in
Wettstreit zu treten. Jedem hart trainierenden Sportler galt sein Spott, als
würde sich jemand aufgrund seiner körperlichen Talente aus der Verantwortung
für sein geistiges Fortkommen stehlen. Er fand es sonderbar, letztlich gar
erbärmlich, daß seine Spezies so großes Interesse aufbrachte für
Leistungsunterschiede, die mittlerweile in Zehntelsekunden und halben
Zentimetern gemessen werden mußten, um überhaupt noch irgendeine Überlegenheit
festzustellen.
    Frankreich belegte dank 19 errungener Medaillen einen mit Finnland
geteilten fünften Platz. Erstaunt registrierte Max, daß über Hitler in den
Gesprächen der einfachen Arbeiter oft positiv, mit verhaltenem Respekt geredet
wurde, und nur die Tatsache, daß es sich um einen Deutschen handelte, hielt
viele Patrioten von einem offen geäußerten Lob ab.
    Goebbels
    hatte am 8. August 1936 in seinem Tagebuch notiert:
Mittags Führer: Frage
Spanien. Nach der Olympiade werden wir rabiat. Dann wird geschossen. Und
2jährige Dienstpflicht eingeführt. (…) Der Führer ist in blendender
Kampfstimmung. In Spanien furchtbare Greueltaten. (…) England beschwichtigt.
Frankreich spielt Neutralität. Und Sowjetrußland tritt offen für Spanien ein.
Nachm. zum Fußballspiel Deutschland–Norwegen. Ein dramatischer,
nervenaufpeitschender Kampf, bei dem die Deutschen nicht ganz verdient 2:0
unterliegen. Der Führer ist ganz erregt, ich kann mich kaum halten. Ein
richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein

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