Nicht ganz schlechte Menschen
gewählten
Volksfront ausgesehen hatte, schraubten objektive Beobachter ihre Erwartungen
zurück und sahen ein langes, blutiges Ringen voraus. Das konnte Karl so gar
nicht recht sein. Wenn er ehrlich war, mußte er sich seine Angst eingestehen,
letztlich doch mit nichts als seiner physisch-pyknischen Wirkung in den Kampf
einzugreifen und vielleicht – ohne greifbaren Sinn und Zweck – sein Leben zu
opfern. Zudem hieß es aus dem Ausland, der Kampf werde von republikanischer
Seite auf reichlich dilettantische Art geführt. Spanier seien zum Beispiel zu
stolz, Schützengräben auszuheben, weswegen Tiefflieger leichtes Spiel hätten
und Tausende hinmähten. Auch besäßen die Rekruten der Volksfront oft nur, wenn
überhaupt, minderwertige Gewehre, die regelmäßig an Ladehemmung litten oder gar
in der Hand explodierten. Gut, das konnten Latrinenparolen der Gegenseite sein,
Formen grausam subtiler Propaganda. Wem konnte man trauen? Karl ging
nachmittags gern an den Strand, um zu baden, mit schlechtem Gewissen.
Ellie hielt durch. Geising mußte neun lange Tage leiden,
bevor er sie wieder zu Gesicht bekam. Und als sie sich endlich trafen, an der
Theke einer Tanzdiele nahe seinem Hotel, teilte sie ihm mit, das Treffen finde
rein aus formellen Gründen statt, um die Beziehung sauber und ein für allemal
zu beenden. Das machte eine Diskussion auf gleicher Höhe von vornherein
unmöglich; Geising blieb nichts übrig als zu winseln und um Verzeihung zu
bitten. Spät, nachdem er sich den Mund fransig geredet hatte, wurde ihm zwar
immer noch kein Pardon gewährt, aber eine Bedenkzeit in Aussicht gestellt.
Dankbar küßte er Ellies Hände, und der Ladenbetreiber, der die ganze Zeit über
mit spitzen Ohren gelauscht hatte, klatschte Beifall, wobei unklar blieb, ob er
dem Paar zur möglichen Versöhnung gratulieren oder Pierre Geisings servile
Haltung verhöhnen wollte. Geising bestand darauf, Ellie am nächsten Tag groß
auszuführen. Bedenkzeit bedeute ja nicht, daß jeder im stillen Kämmerlein über
der Zukunft brüten müsse. Es tat ihm auch ehrlich leid, was er getan hatte,
wieder und wieder verwies er darauf, daß er von sich aus bestimmt nicht an
Ellies Tür geklingelt hätte – niemals.
Er habe sich eben nur davon überzeugen wollen, daß seine Geliebte es
einigermaßen bequem habe, daraus könne man einem fürsorglichen Mann doch keinen
Strick drehen. Und es freue ihn, trotz aller peinlichen Begleitumstände, einmal
ihren Bruder Max kennengelernt zu haben, diesen schmucken jungen Mann, dessen
Freundlichkeit doch der wohltuendste Aspekt in dem ganzen Durcheinander gewesen
sei. Ellie gab wohldosiert nach und verknüpfte ihr Entgegenkommen mit einer
Bedingung. Statt ihr teure Kleider zu kaufen und sie für viel Geld ins Maxim
auszuführen, solle Pierre lieber ihren Bruder Karl unterstützen in seinem Kampf
für die Freiheit des spanischen Volkes. Er sei, berichtete sie unter Tränen,
nach Barcelona gefahren, um sein Leben für die gerechte Sache einzusetzen, sitze
dort nun fest, ohne einen Centime, und könne sein Zimmer nicht bezahlen,
verfüge nicht einmal über Tabak, geschweige denn Brot. Pierre, sichtlich
betroffen, drückte ihr dreihundert Francs in die Hand, die solle sie Karl
überweisen, es sei ihm eine Ehre, dessen Idealismus zu fördern. Er selbst habe
schon, trotz seines fortgeschrittenen Alters, erwogen, nach Spanien zu gehen
und für die Freiheit zu fechten (sic!), allein, es gebe zu viele Angestellte,
schuldlose, brave Menschen, deren Existenz von ihm und seinem Betrieb abhängig
sei. Ellie hätte beinahe laut losgelacht. Statt dessen gab sie Pierre einen Kuß
auf die Wange und machte ihn glücklich damit.
Im
Deutschen Reich unterdes geriet die Olympiade zu einem gewaltigen
Prestigegewinn für das Regime. Die Spiele, besucht von neunundvierzig Nationen
(der Boykott der Russen störte hier keinen), waren fast perfekt
durchorganisiert, und nur ein paar extrem linke Blätter bekrittelten kleinere
Pannen, in einer überkritischen Weise, die auf neutrale Beobachter peinlich
erbsenzählerisch wirken mußte. Beim Einzug ins Berliner Olympiastadion hatte
die französische Delegation tatsächlich den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben,
was in Paris für Diskussionen sorgte, aber als Höflichkeit gegenüber dem
Gastgeber durchging. Später redete man sich damit heraus, daß es sich nicht um
den Hitlergruß, sondern um den olympischen Gruß gehandelt habe, wobei die
beiden voneinander kaum zu unterscheiden seien,
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