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Nicht lecker, aber Weltrekord

Nicht lecker, aber Weltrekord

Titel: Nicht lecker, aber Weltrekord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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bringe euch in große Stadt«, mischte sich ein Mann in unsere Tagesgestaltung ein. Natürlich handelte es sich bei diesem Mann um einen Taxifahrer, genauer gesagt, um unseren Taxifahrer. Alle übrigen Fährpassagiere waren bei seinem Anblick entsetzt zurückgewichen, denn sein güldenes Gebiss glitzerte um die Wette mit dem Funkeln seines Gefährtes, das rundherum mit silbernem Gaffa-Tape umklebt war. Als wir zögerten, in dieses Fahrzeug einzusteigen, wiederholte er seine Einladung mit großer Eindringlichkeit: »Ich bringe euch in große Stadt.«
    Unser Chauffeur sollte sich als Glücksgriff erweisen. Nicht nur, dass er unserer Muttersprache mächtig war, er erwies sich sogar als kleine Plaudertasche und wurde es nicht müde, uns auf die Schönheit seines Landes aufmerksam zu machen.
    »Wie weit ist es denn bis in die Innenstadt?«, fragte ich ihn, eher aus finanziellem als geografischem Interesse, aber er überhörte höflich meinen ängstlichen Unterton und bestätigte: »Ich bringe euch in große Stadt.«
    Als wir auf der Landstraße ein anderes Taxi erblickten, das durch seine Beschriftung und vollständige Anzahl von Türen und Fenstern auf seine Weise offiziellerwirkte, winkte er rigoros ab: » Ich bringe euch in große Stadt.«
    Am Ende unserer Fahrt erschien uns der Preis für seine Dienste etwas hochgegriffen, doch bevor es zu einem unwürdigen Feilschen kam, untermauerte er seine Forderung mit der Begründung: »Ich bringe euch in große Stadt« und brauste davon.
    Wir lachten nur darüber. Als unser Lachen in den verlassenen Häuserschluchten widerhallte, hörten wir auf damit und lauschten dem vielfachen Surren der Rollläden, die von den Geschäftsinhabern ringsherum heruntergelassen wurden.
    »Sie halten Siesta«, erklärte ich meinem Freund, »das ist so üblich in diesen Gefilden.«
    »Es ist neun Uhr morgens«, entgegnete mein Freund und deutete fasziniert auf einen Brunnen, der vor unseren Augen versiegte.
    »Der Reiseführer hat bestimmt eine logische Erklärung dafür«, bemerkte ich und begann, nach selbigem zu fahnden. Wie sich herausstellen sollte, befand dieser sich in Sicherheit, das heißt im Taxi.
    Wir lachten noch einmal, dieses Mal deutlich leiser.
    »Vergiss den Reiseführer!«, raunte ich meinem Freund zu. »Reiseführer sind was für Memmen, die sich nicht trauen, Land und Leute auf eigene Faust kennenzulernen.«
    Mein Freund knurrte, aber nur, um das Rudel wilder Hunde zu verscheuchen, das um unser Gepäck herumschlich. Als die Meute sich schließlich verzog, schöpften wir neue Hoffnung. Das Schicksal hatte gewollt, dass wiruns der größten Herausforderung stellten, die ein Paar auf sich nehmen kann: den gemeinsamen Urlaub, ohne profane Hilfsmittel wie rudimentäre Sprachkenntnisse, Sudoku-Hefte oder harte Alkoholika. Wir waren auserkoren, unser ganz persönliches Reiseabenteuer zu erleben, das uns noch fester zusammenschweißen würde.
    Rückblickend kann ich sagen, dass kein Land geeigneter ist als Litauen, um fernab des pauschalisierten Massentourismus seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Individualreisende werden hier in einem Maße respektiert, wie es sonst nur Eremiten zuteil wird. Überall kann man die erholsame Stille genießen, man muss nur die richtigen Fragen stellen. Im Busbahnhof fragt man nach einem Bus, im Supermarkt nach Lebensmitteln, am Strand nach Sand, und schon lässt der Litauer seinen Gast mit seinen Eindrücken alleine.
    Hier biedern sich die Einheimischen nicht an, nur um einem das Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln. Sie schenken dir kein falsches Lächeln, wenn du ziellos durch ihre Straßen irrst, allerdings auch kein echtes, denn das wichtigste Exportgut Litauens sind heruntergezogene Mundwinkel. Überall finden sich herrliche Originale aus der Besatzungszeit, aber auch die Kinder pflegen bereits die Tradition des angepissten Blickes. Insbesondere die Frauen üben sich in Todesverachtung, und die jüngeren Litauerinnen sehen allesamt wie eiskalte KGB-Agentinnen aus, permanent scheinen blaue Blitze aus ihren Augen zu schießen.
    Die Augenbinden, die wir um der Vögel willen eingepackt hatten, erwiesen sich bald als lebensnotwendigesReiseutensil. Da niemand wagt, einer Litauerin ins Gesicht zu sehen, lieben die Frauen Körperschmuck, der vorwiegend aus Brüsten besteht. Während die jungen Litauerinnen Modeglocken aus Plastik favorisieren, entscheidet sich die ältere Generation für die althergebrachten Hängebrocken, um Fremde auf Distanz zu

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