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Nicht lecker, aber Weltrekord

Nicht lecker, aber Weltrekord

Titel: Nicht lecker, aber Weltrekord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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halten.
    Aber die Brüste der Litauerinnen dienen noch einer weiteren wichtigen Funktion. Die Frauen verstecken ihre Männer in den tiefen Kluften ihrer Kittel, denn diese sind sehr scheu und trauen sich nur ans Tageslicht, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen, dem Verachten von Touristen. Bekommt man doch einmal männliche Litauer zu Gesicht, ist man überrascht, dass sie alle wie mein Schwager Jörg aussehen. Nur reden sie noch weniger, obwohl sie unmöglich alle mit meiner Schwester verheiratet sein können.
    Nach der ersten Woche zogen wir eine durchaus positive Bilanz. Wir hatten uns eingelebt, obwohl man noch nicht von vollständiger Integration sprechen konnte. Wie wir es aus den alten Zeiten gewohnt waren, sprachen wir leise miteinander, bevor wir auf Entdeckungstour gingen, und grinsten uns eine halbe Stunde lang intensiv an, natürlich hinter geschlossenen Vorhängen. Ich muss gestehen, dass ich diesen Proviant tagsüber heimlich auffrischte, indem ich meinem Spiegelbild in den Schaufensterscheiben ermutigend zulächelte.
    Des Abends durften wir herrliche Sonnenuntergänge in den beiden zahlreichen Strandcafés erleben und bis in die tiefe Nacht die Speisekarte studieren, ohne zureigentlichen Bestellung genötigt zu werden. Dennoch litten wir keinen Hunger. Gleich am zweiten Tag hatten wir uns in einer Wirtschaft per Fingerzeig das Nationalgericht Litauens geordert, gefüllte Kartoffelklöße, die sogenannten »Cepellini«.
    Unsere Erwartungen wurden übertroffen. Die Spezialität ähnelte nicht nur in der Form, sondern auch in Größe und Geschmack an das beliebte Luftfahrzeug. Über die Füllung lassen sich im Nachhinein nur unzureichende Angaben machen, da man den hierzu benötigten Tieren zuvor das Fell teilweise abgezogen hatte, was eine genaue Identifizierung unmöglich machte. Falls es sich bei diesen Tieren um Vögel gehandelt haben sollte, will ich diese nicht gesehen haben.
    Zu Beginn der zweiten Urlaubswoche machte sich jedoch leichtes Unbehagen breit. Wir hatten die Zeppeline verdaut und mussten uns eingestehen, dass wir uns nichts Neues zu erzählen hatten, zumindest nichts von Belang. Beiträge wie »Guck mal, auf der verlassenen Bank da vorne sitzt kein Vogel«, führten nur dazu, dass wir sehnsüchtig nach unserem Taxifahrer mit den Goldzähnen Ausschau hielten.
    »Ich bringe euch in große Stadt«, flüsterte mein Freund zärtlich, und ich antwortete ihm, leise weinend: »Ja, ich will.«
    Schließlich begannen wir, dem Verhalten der Einheimischen auf den Grund zu gehen. Wir suchten einen litauischen Vergnügungspark auf. Die Kinder auf den Karussells blickten konzentriert wie Kampfpiloten und nahmen Zuckerwatte und Lebkuchenherzen mit einerDemut entgegen, als würden ihnen Hostien gereicht. Zwar wurde getrunken, aber selbst der Alkohol dient in Litauen einem anderen Zweck als der Entgleisung. Wir beobachteten eine Gruppe junger Männer, die diszipliniert eine Flasche Bier nach der anderen leerten. Sodann warfen sie die Flaschen auf den Boden, kehrten die Scherben zusammen und schippten sie in einen mit Salzwasser gefüllten Bottich. Es dauerte ein wenig, bis wir begriffen, dass auf diese Weise der berühmte Bernstein, das wohl beliebteste Mitbringsel des Baltikums, hergestellt wurde.
    Nur einmal gelang es uns, den subtilen Humor der Litauer in seiner Reinform zu erleben. Ich stolperte und fiel in eine Pfütze. Schallendes Gelächter folgte diesem Missgeschick. Erfreut blickte ich mich um, nur um wieder in ernste Gesichter zu sehen.
    »Hättest du nicht ein bisschen bluten können«, zischte mein Freund, »das hätte sie bestimmt länger bei Laune gehalten.«
    Zwei Tage brachten wir damit zu, auf belebten Straßen gegen Straßenlaternen zu laufen, über Bordsteine zu stolpern und uns Dreck ins Gesicht zu werfen, aber nie wieder ernteten wir auch nur ein Lächeln. Die Litauer haben ein sehr feines Gespür dafür, ob man es ernst meint oder ihnen nur etwas vorspielt.
    Schließlich knickten wir ein. Drei Tage vor unserer Abreise schlugen wir den Weg zum Fährhafen ein, den wir in den frühen Morgenstunden, leider unbehelligt von Taxifahrern, erreichten. Dort angekommen gab es kein Halten mehr, die Gefühle überwältigten uns. MitInbrunst starrten wir die Möwen an, einer Schar Enten schenkten wir verschwenderische Blicke, einem Reiher klatschten wir Beifall. Mit der Zeit konnten wir das Vertrauen eines Spatzenclans gewinnen. Als sie begannen, sich aus unseren restlichen Euroscheinen auf der Bank

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