Nicht ohne Beruf (German Edition)
Weihnachten erst noch einmal die etwa 100 km ins entfernte Bernsbach brachte, war sehr kurz überlegt. Eigen tlich wusste doch jeder, dass es dem Ende zu ging. Die Erwachsenen erzählten, was verboten war, einen Witz: Als Bruder der Achse hatte Hitler von den Japanern einen japanischen Namen erhalten: Heier gehma futschi! (Dieses Jahr gehen wir kaputt!)
Kaum war ich wenige Tage wieder in Bernsbach, so dass ich noch die schöne große Weihnachtspyramide auf dem Flügel bewundern konnte, da wurde es Privatpe rsonen untersagt, größere Reisen zu unternehmen. Es gab nur noch Fahrkarten über 20 km. Mutti musste also auf Stottern fahren: alle 20 km raus aus dem Zug und eine neue Karte lösen.
So umständlich holte sie mich gleich noch im Januar wieder nach Leipzig.
Nun, da die Katastrophe unmittelbar bevorstand, da hieß es: Wenn wir sterben, sterb’n wir alle, aber einzeln sterb’n wir nicht! (Auf die Melodie: Alle Tage ist kein Sonntag)
Wieder in Leipzig heulten tagtäglich sp ätestens nach der dritten Schulstunde die Sirenen zum Fliegeralarm.
Wie auch andere Kolleginnen ihre Kinder, so ließ auch ich Uta nach der Schule zu mir in die Dienststelle kommen. Sie zu Hause zu lassen, war unmöglich, vor Angst hätte ich nicht arbeiten können. Jeden Nachmittag die Aufregungen, ob das Haus noch steht, bis ich endlich um die Kurve kam, von der ich es sehen konnte.
Sie kamen alle, machten ihre Hausaufg aben und spielten im so genannten EKG-Käfig. Meine Uta machte sich auch noch nützlich: Sie „rennerte“, schrieb Kolonnen über Untersuchungen und Befunde in ein dickes Buch.
Zu Hause gab es ja kein fließendes wa rmes Wasser, das musste erst auf dem Küchenofen geheizt werden. Im Röntgen nutzten wir die Entwässerungswanne der Röntgenfilme als Badewanne für unsere Kinder.
Kein fließend warmes Wasser? Auch nicht aus einem Boiler? Das hatte den Vorteil, dass mir nur einmal im Monat die Haare gewaschen wurden.
Später, als nach dem Krieg die Hallenb äder wieder öffneten, ich mit neun Jahren endlich meinen Freischwimmer machte, ging ich mit meinen Freundinnen einmal in der Woche zum Schwimmen. Da die Besuchszeit unbegrenzt war, lagen wir ewig und drei Tage unter der Dusche, aalten uns und quatschten.
I n manchen Sommern waren die Freibäder geschlossen, weil die Kinderlähmung grassierte. Bis gegen das Poliovirus ein Impfstoff gefunden wurde, mussten noch fast zwei Jahrzehnte vergehen.
Zur Wasserversorgung gab es einen gusseisernen Ausguss in der Küche und einen Kaltwasserhahn. Erst kurz bevor wir ‚wegmachten‘, hatte Mutti ein schönes Keramik-Waschbecken installieren lassen.
Und wo mochte das stille Örtchen sein? Nachttopf unterm Bett, solange ich klein war, klar. Doch ansonsten stieg der Müssende durchs Treppenhaus eine halbe Etage nach oben. Da saß man dann. Gegenüber hatten die vom vierten Stock ihr Revier. Da so weit oben keiner vorbeikam, konnte ich mich mit dem Mädchen von oben bei offenen Türen ungestört unterhalten.
Die Örtchen lagen gen Norden, im Winter umfaucht von eisigen Winden. Die Fenster froren zu, wurden noch mit Rollen von Zeitungspapier abgedichtet, die auch fes tfroren. Da konnte erst im Frühjahr wieder gelüftet werden.
Elektrisches Licht gab es dort auch nicht. Abends nahm man eine Kerze mit. Man fred, eine Etage unter uns, sang lauthals Kirchenlieder – bei geschlossener Tür. Kichernd nahmen wir zur Kenntnis, dass er wohl schon übte, um später vielleicht Pfarrer zu werden. Aber vielleicht wollte er auch nur böse Geister vertreiben und seine Angst überwinden.
In Leipzig , wie schon in Oberschöna, war es meine Aufgabe, Klopapier aus Zeitungen zu schneiden. Dass ich mich mit dem Maß nach größeren Hintern zu richten hatte, war mir unterdessen klar geworden. Fand man dann einen interessanten Artikels, ging die Sucherei nach dem nächsten Puzzelstück los, und die Sitzung konnte sich ganz schön in die Länge ziehen.
Kriegsende
Ende April 1945 war das Ende des Krieges abzusehen. Vom Westen kamen die Amis, vom Osten die Russen. Wer wird Leipzig als erster erreichen?
Aus Wikipedia: Am 27. Februar 1945 flog die 8. US-Luftflotte, die bisher meist Punktziele angegriffen hatte, von 12:50 Uhr bis 14:15 Uhr einen Flächenangriff auf das gesamte Stadtgebiet. Am 6. April griff der Ve rband erneut Leipzig an. In der Nacht vom 10. auf den 11. April erfolgte nochmals ein Doppelangriff der
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