Nicht ohne Beruf (German Edition)
mit!“
Bella, bella, bella Marie, ich hau ab, und komm zurück morgen früh.
Bella, bella, bella Marie, bis morgen früh.
Nach derselben Melodie auch noch:
Das Lied vom Hamstern-gehen .
Wenn am Mittag die letzte Kartoffel im Bauch versinkt
Und der Boden des Korbes einsam im Keller blinkt,
zieht der Vater mit seinem Rucksack aufs Land hinaus
und er bietet Mutters Latschen zum Schieben aus.
Doch die Sterne, sie zeigen ihnen am Fi rmament,
dass der Bauer den Städtern keene Karto ffel gönnt.
Und von Hof zu Hof das gleiche Lied e rklingt:
„Türe zu, eh der Hamster kimmt!“
Bella, bella, bella Marie,
ä Stickchen Brot!‚sch hab noch nischt g egessen seit heut früh.
Bella, bella, bella Marie, seit heute früh.
In schlechten Zeiten bewahrheitet sich Bert Brechts ‚Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!‘
Wer eben noch sein Leben liebt, der schiebt.
Wem Redlichkeit durchs Blute rauscht, der tauscht.
Wem beide Wege sind verbaut, der klaut.
Wer nur von seinen Karten lebt, korrekt, verreckt!
Mutti hatte ja zum Glück bald ‚ihren ei gnen Bauern‘ und musste nicht von Tür zu Tür hamstern gehen. Es wurde behauptet, die Bauern wären an Tauschgeschäften nicht mehr interessiert, sie hätten schon die edlen Teppiche im Kuhstall hängen. - Das war wohl ein bösartiges Gerücht.
Auch in der Dienststelle gab es eine Änderung. Wir hingen in der Luft. Die LVA, unser Brötchengeber, befand sich in Dresden. Wir wussten wahrhaftig nicht, ob wir am nächsten Tag noch Arbeit haben würden. Um nichts zu verpassen, stellten wir uns jeden Tag in der Dienststelle ein.
Aber bald wechselten wir uns ab, ein Teil ging auf Hamstertour!
Wir im Dienst waren uns einig: Wer an etwas herankam, teilte es. Eine organisierte Zucker: Im Zuckersack, der unbeobachtet war, das Gewebe ein bisschen erweitert, ohne Löcher zu hinterlassen, so dass das kostbare Weiß in die eigene Tüte rieselte.
Es lohnte sich immer, Augen und Ohren offen zu halten. Einmal wurde laut, im Landkreis gäbe es auf bestimmte Abschnitte Fleisch, hingegen nicht in der Stadt. (Anmerkung: Einzelne Abschnitte der Marken wurden aufgerufen. Dann stand in der Zeitung, auf welchen Abschnitt es was wo zu kaufen gäbe.) Wir im Röntgen sammelten alle entsprechenden Abschnitte ein und ich fuhr zielstrebig nach Markranstädt, einem Kreisstädtchen westlich von Leipzig.
Dort im Laden hatte ich doch ein bisschen Herzklopfen. Aber es klappte wunderbar. Mit einem großen Stück Fleisch fuhr ich zurück. Alle im Röntgen bejubelten den Erfolg und hatten wieder einmal eine Fleischmahlzeit.
Die lange entbehrungsreiche Zeit ohne Fleisch, ohne ausreichende Proteine, war spürbar. Der Hormonzyklus blieb aus, und man wusste schon gar nicht mehr, ob man Männchen oder Weibchen war.
Auch Hungerödeme, sie zeigten sich auch bei mir ganz gewaltig. Und das, obwohl ich im Röntgen als Gefahrenzulage pro Tag einen viertel Liter Milch bekam. Magermilch. Eine von uns lief täglich zum Milchgeschäft. Zu Hause ergab das eine gute Mehlsuppe.
Unser Obervertrauensarzt war großzügig und verständnisvoll. Bedauerlicherweise wurde er von seinem Amt enthoben und musste in einer Eisenfabrik arbeiten, bei Bleichert in Gohlis, vermutlich bei der Werks-Demontage.
Auch unser Röntgenarzt, Dr. Biedermann, wurde eines Tages abgeholt. Doch er kam zurück und wieder in unsere Abteilung.
Ein weiterer Röntgenologe, Aussiedler aus der Tschechei, wurde vom Dienst aus abgeholt. Es hieß, er hätte in Prag tschech ische Patienten nicht gut behandelt. Ihn haben wir nie wieder gesehen.
Besuch aus der Vergangenheit
Es war noch im Herbst 2004, kurz nach L enis 91. Geburtstag, als eine frühere Leipziger Kollegin, Margret, erst 80 Jahre alt, zu Besuch kam.
Aus Lenis Aufzeichnungen : Mit Margret stehe ich auch heute noch immer in Briefkontakt. Sie wechselte Mitte der 50er Jahre nach Dresden in ein Krankenhaus. Nach Eintritt ins Rentenalter zog sie in die Nähe der holländischen Grenze nach Nettetal, wo ich sie mehrmals besuchte und wir dann an die Nordsee fuhren.
Die bereits tief stehende Septembersonne ausnutzend, sitzen wir zu dritt etwas beengt auf Lenis kleinem Südbalkon. Mehr haben da gar nicht Platz. Der Rollator steht neben der Balkontüre. Von da bis zu ihrem Sitz stützt sich Leni an den Stuhllehnen ab. Margret bestaunt Lenis bisherige
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