Nicht ohne Beruf (German Edition)
Zeiten zum Militärlager umfunktioniert war, b ekamen wir Tee. Dann arbeiteten wir uns zurück zu unserer Wohnung.
Da war keine Fensterscheibe mehr in den Rahmen! Einige Kle idungsstücke hatte der Wirbelwind weggeweht, ebenso einen Teil der neuen Lebensmittelkarten, die noch auf einer Anrichte gelegen hatten.
Aber eine Sache berührte mich direkt: Seit Jahren wollte ich aus Buntpapier eine ric htig lange Kette für den Weihnachtsbaum basteln. Jedes Jahr war die Zeit zu knapp und somit die Kette zu kurz. Diesmal hatte ich bereits Anfang November damit begonnen, aus Klebpapier bunte Streifen zu schneiden, zu Ringen zusammen zu kleben, die ineinander hingen, so dass es eine ganz lange Kette ergeben sollte. Am 3. Dezember reichte sie bereits fast durchs ganze Wohnzimmer.
Und nun, nach dem Bombenangriff? Una nsehnliche Fetzchen von Buntpapier, Reste einer stolzen Kette, lagen zwischen Glasscherben und anderen Trümmern meiner Kindheit. Das Christkind wollte wohl nicht, dass ich meine Zeit mit so etwas verplempere.
Mutti packte das Nötigste zusammen und wir stiefelten zu Tante Dora. Die K aserne hatte nichts abbekommen.
Wir kamen dann später noch zu Dora. Erich hatte von dem Bombenangriff gehört und bekam Heimaturlaub. Er suchte uns und fand uns bei Dora.
Zuerst einmal bleibt zu vermerken, dass ich mit meinem Schicksal schon fast versöhnt war, als ich an dem Abend mit meinen Cousins Hans und Rolf in Tante Doras Schlafzimmer zu Bett gebracht wurde. Ich, die ich noch nie mit anderen Kindern geschlafen hatte, erlebte die erste großartige Kissenschlacht meines Lebens!
Da in der Nacht zum 4. Dezember eigentlich nie Hauptalarm g egeben worden war, und weil die Sirenen ausprobiert werden mussten, jaulte immer mal wieder eine. Egal ob das was zu bedeuten hatte, nochmals wollte Mutti gewiss nicht leichtsinnig sein. Wir gingen also innerhalb der Kaserne in ein anderes Gebäude, das Luftschutzräume mit Doppelstockbetten hatte. Da hinein wurden wir Kinder gelegt. An Schlafen war nicht zu denken.
D a ging plötzlich die Tür von diesem Kellerraum auf, und herein trat ein fescher junger Soldat: Mein Vati! Dieser Moment wiegt sehr vieles auf. Seelische Rückversicherung war in jener Zeit für ein kleines Mädchen sehr wichtig!
Die Großen sprachen sich in dieser Nacht wohl ab, was mit mir passieren sollte. In unserer Wohnung konnte man ja länger nicht wohnen. Auch nahm die Häufigkeit der Bombenangriffe auf Großstädte zu.
Hinaus aus Leipzig! Den Hauptbahnhof hatte es in der letzten Nacht auch erwischt. Also mit Gepäck zum Paunsdorfer Bah nhof. Wir wollten zuerst nach Mügeln, dann nach Oberschöna, um meine kleine Uta für längere Zeit dort bei Müllers unterzubringen. Es war hundekalt. Der Zug kam ewig nicht.
Von Vati lernte ich, wie man sich warm halten konnte. Ich musste immer meine kurzen Arme um mich schlagen und mit den vor Kälte schon gefühllosen Füßen feste aufstampfen.
Eigentlich hatte ich keine Lust, weil ich nach zwei solchen Nächten nun doch schrecklich müde war und mich am liebsten auf den Bah nsteig gelegt hätte.
Ging ja sowieso nicht, der quoll über vor wartenden Menschen, die alle der Gro ßstadt entfliehen wollten, bzw. ihre Kinder wegschaffen wollten, evakuieren genannt. Ich wurde für zwei, drei Tage über Nikolaus in Mügeln untergebracht bei einem älteren Ehepaar, mit denen ich in einem Raum schlief. Das war meine erste Nacht mit einem Mann in einer Kammer. Der schnarchte, dass an ein Einschlafen trotz aller Müdigkeit nicht zu denken war.
Vati fuhr zurück zu seiner Einheit und Mutti fragte in Oberschöna an, ob Müllers mich nehmen würden.
So umständlich war das ohne Telefon!
Oberschöna: dort ließ ich meine Uta für längere Zeit. Und dann kommt bei Mutti schon: Aber die Fahrten dahin wurden für mich immer problematischer; so holte ich Uta dann wieder heim.
Das umfasst die Zeit von Dezember 1943 bis Anfang 1945!
Außerdem war ich nicht die ganze Zeit in Oberschöna, sondern mit Schuljahresb eginn 1944 in Bernsbach bei Aue.
Zwar sind die Erinnerungen einer 91-Jährigen zuerst dran. Aber doch nicht mit solchen Siebenmeilen-Stiefeln! Das kann ich so nicht abhaken.
Schließlich war es das erste Mal in meinem jungen Leben, dass ich allein bei fremden Leuten war, und nicht nur für eine Urlaubszeit. Viele Monate – mit nur sieben Jahren! Das Schlimme war jedes Mal das Abschied nehmen von Mutti.
Ü ber Weihnachten war sie bei uns am Rande des Erzgebirges.
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