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Nicht ohne Beruf (German Edition)

Nicht ohne Beruf (German Edition)

Titel: Nicht ohne Beruf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Derado
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Kurzum, die Qualität des ohnehin mühsamen Lebens würde noch stärker beschnitten.
     
     
     
    Mach mer nach’m Westen!
     
    In den folgenden Monaten und Jahren wanderten viele gen Westen ab. Besonders bei den Ärzten lichtete es sich. Einer unserer Röntgenologen, den es nach Münster verschlagen hatte, hatte uns zugesichert, dass jede von uns bei ihm fürs erste unterkommen könnte, sollten wir je in die Situation kommen. 1958 war es dann so weit.
    Nachdem Mama, Frau Lemnitzer, gesto rben war, bekam ich die Wohnung vom Wohnungsamt zugesprochen. Aber wir mussten ein Zimmer abgeben. Eine Medizin-Studentin, Sabine, wohnte bei uns zur Untermiete.
    Wie die Situation im Frühjahr 1958 an der Leipziger Karl-Marx-Universität war, traf es beide, Uta und Sabine, zur gleichen Zeit.
    Wegen „mangelnden sozialistischen B ewusstseins“, „Devisenschiebung“, „Kritik an der Landwirtschaftspolitik unserer Regierung“ und ähnlichen Gründen wurde ich im 7. Semester aus dem stinkigen Chemielabor an die frische Luft gesetzt [1] .
    Als erste steckte Sabine ihren Schlüssel durch den Briefschlitz in der Wohnungstür. Kurz vor Ostern verließ auch meine Uta die Wohnung und reiste über Berlin in den Westen. Als ich abends heim kam, lag der zweite Schlüssel im Korridor! Oh, welch jammervolles Gefühl!
    Studienkollegen von Uta bestürmten mich, ich solle meine Tochter dazu bewegen zurückzukommen! Sie waren der Meinung, Uta wäre im Westen bei Verwandten untergekommen und hätte Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Wir hatten da aber niemanden.
    Ach, was diese Herren alles sagten! Ich heulte nur wie ein Schlosshund und mac hte ihnen klar, dass das alles nicht stimmte und Uta durchs Lager müsste.
    Danach stand ich unter Beobachtung, wie mir unser Hauswart zuflüsterte. Ich solle nichts Auffälliges tun.
    Mit der Wohnung ging noch ein Tausch vor sich. Im vierten Stock in der Mansarde wohnte eine Familie, drei Personen. Für sie war die Wohnung viel zu klein, zudem regnete es seit dem 4. Dezember 1943 durchs Dach. Der Tausch wurde vom Wohnungsamt genehmigt. Die meisten meiner Möbel überließ ich der Familie. Nur ein paar minderwertige Stücke schleppte ich hinauf. Vorhänge und Deckenlampe mussten für die Bewacher, die vermutlich vom Haus gegenüber die Wohnung ausspähten, anmontiert werden.
    Ich schlief aber noch mit unten. In dieser Zeit hätte ich nicht allein sein wollen und können. Die Schlafzimmermöbel kaufte unsere ehemalige Nachbarin.
    Sie waren in meine Pläne eingeweiht.
    Mit nur einer Stadttasche, ausgestattet für einen fingierten Besuch bei meinem Neffen in Bernau, bestieg ich am Himmelsfahrt stag den Zug nach Berlin. Der Tag war günstig, Schloss Sanssouci in Potsdam zu besichtigen. Meine Absicht war aber, die S-Bahn im Westsektor zu verlassen.
    Es klappte. Ich übernachtete in Westberlin bei Rena, einer Bekannten von Erich und Elsa, bis ich meinen Flugschein besorgt hatte.
    Bis Hannover ging der Flug mit einer kleinen Maschine. Kotzelend war mir danach, und ich brauchte zwei Tage, bis ich mich kreislaufmäßig bei der Inneren Mission erholt hatte.
    Mit dem Zug ging es dann weiter nach Münster, wo Dr. Barth mit Familie wohnte und an der Uni arbeitete.
    Nach den ersten Tagen wohnte ich im diakonischen Mütterhaus. Dr. Barth hatte mich bereits als Ferienvertretung an die Röntgenabteilung der Neurologie vermittelt.
    Ich konnte eine Spezialaufnahme der BWS vorlegen, woraus die Herren wohl mehr diagnostizieren konnten. Sie boten mir daraufhin eine Dauerstelle an. Doch dafür hätte eine junge Assistentin, die gerade ihr Examen gemacht hatte, zurücktr eten müssen. Das wäre unfair gewesen.
    Aber der Hauptgrund meiner Ablehnung: Meine Uta hatte bereits einen Studienplatz in München bekommen, und die Entfernung Münster-München war mir zu groß. Ich wollte mehr in ihre Nähe.
    In Münster arbeitete ich vier Wochen. Oh, mein erstes verdientes Westgeld! 350,- Westmark! Dazu gab es als Gefahrenzul age fürs Röntgen Butter im Wert von15 Mark. Ich saß auf sieben Stück Butter.
    In dieser Zeit muss ich mich ganz gut nach dem überstandenen Reiseschock erholt haben. Die zurückkehrende Assistentin stau nte jedenfalls nicht schlecht.
     
     
    Frühjahr 2005
    Leni ist trotz des Rollators  kaum noch in der Lage, weiter als bis zum Wochenmarkt zu gehen. Doch dort blüht sie auf, wenn die Apothekerin sie mit Namen begrüßt und sich freut: „Ja, Sie leben noch! Ich habe Sie so lange nicht gesehen!“
    Und beim Eiermann

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