Nicht ohne Beruf (German Edition)
spielt sie noch immer ‚arme Frau‘ und lässt sich, wenn die Stände schließen, die Knickeier geben. Als Gege nleistung bringt sie ihm ein Stück selbstgebackenen Kuchen.
Ein kleines Schwätzchen ist allemal au fbauend, wenn man die meiste Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen muss.
Mit dem Rollator U-Bahn zu fahren ist schwierig. Zwar finden sich meist helfende Hände, Leni beim Einsteigen zu helfen. Aber die wahre Freud ist das nicht mehr, in der Stadt bummeln zu gehen.
V erreisen ist überhaupt nicht mehr drin.
Herzlich willkommen ist da jeder Besuch. Erich kommt auch nicht mehr nach Mü nchen. Er hatte unterdessen einen Schlaganfall und ist nicht besser dran als Leni.
In letzter Zeit ist viel öffentlich gestorben worden: Ob eine Amerikanerin nach 15 Jahren Wachkoma von ihren Geräten abgeschaltet werden darf, löste heftige Diskussionen aus. In derselben Woche starb Papst Johannes Paul II, Karol Woitylla, seinem Wunsch entsprechend im Vatikan, ohne solche Ärzte, die Schläuche legen wollen. Keine Nahrung mehr aufzunehmen, das sei ein natürlicher Teil vom Sterben, und solle respektiert werden im Rahmen eines würdigen Sterbeprozesses.
Aber wird es respektiert, wenn ein Kra nkenhaus damit noch Geld verdienen kann? Damit sind wir beim Thema „Patientenverfügung“. Ich habe mir die entsprechende Broschüre vom Justizministerium kommen lassen. Wir müssen alle, nicht nur Mutti, unsere Verfügungen aktualisieren.
13. April 2005: E-Post an Tanja
Omi fand sich kurz nach meiner OP, als sie Socken aus einer Schublade holen wollte, mit Beule am Kopf auf dem Fußboden wieder. Mühsam hat sie sich an der Matratze wieder nach oben gezogen. Seit Jahr und Tag zahlt sie Beiträge an die Diakonie-Station ihrer Kirche. Aber kommen die, wenn der Notfall eintritt? Herzlichst Mami
Nun ist mein Vati auch 90 geworden. Obwohl er anderthalb Jahre jünger ist als Mutti, geht es ihm fast noch schlechter. Seine Beine sind ebenso schlapp wie ihre.
Mutti zieht oft Vergleiche: „Da er in seinem Seniorenheim mit betreutem Wohnen alles gemacht bekommt, liegt er die meiste Zeit rum und wartet auf seine Fernsehsendung. In Köln hat er ja nach Renas Tod seinen Haushalt allein versorgt, mit Wäsche w aschen und allem drum und dran. So wie ich das heute noch tue. – Hören tut er noch schlechter als ich, und auch die Zunge ist gelähmt. Hinzu kommt, dass er gar kein Interesse am Lesen hat. Das hatte er eigentlich noch nie. Aber nun interessiert ihn außer Sport kaum noch was.
Von seinen drei Kindern von Elsa hat er gar nichts. Keines von denen kann meiner Uta das Wasser reichen, hab ich ihm geschrieben. Als ich mit ihm telefonierte, sagte er mir, dass er sehr oft an mich denkt.“
„Ich befürchte, dass ihr beide euer Sterbchen mal fast gleichzeitig machen werdet!“
Mutti nickt dazu und lächelt.
Die unter Tränen säen, werden mit Freuden ernten!
- Die Zeit nach 1958 -
Durch Vertreter der Firmen Siemens und Agfa erfuhr ich von Stellenangeboten mehr gen Süden zu. Zuerst Weibling bei Stut tgart, nochmals als Urlaubsvertretung. Ein schönes Neubau-Appartement stand bereit, aber umso älter war hier die Röntgenabteilung. Es hieß, in zwei Jahren steht eine moderne. Mit dem Diagnostikgerät wurden auch Bestrahlungen vorgenommen; kriminell! Kein abgeschlossener Raum, Holztüren, die sich nicht schließen ließen und unten einen Spalt frei ließen. Unzumutbar!
Mich zog es ohnehin nach München, in Utas Nähe. Mir wurde eine Anstellung im Schwabinger Krankenhaus in Aussicht gestellt. Fast täglich meldete ich mich dort. Ich wartete auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Doch das Personal kam wohl mit den Bewerbungsunterlagen nicht nach.
Vier Wochen vergingen ohne Resultat. Während der Zeit wohnte ich in Utas Studentenwohnheim, wo gerade ein Zimmer kurzzeitig nicht belegt war. Ich durchwanderte die Stadt und besuchte Museen.
Zwar bekam ich Unterstützung vom Arbeitsamt, aber ich kriegte dennoch Hu mmeln. Ich wollte richtig arbeiten und Geld verdienen. München zahlte zudem an Leute, die aus der DDR gekommen waren, das niedrigste Gehalt. Durch die vielen Ordensschwestern, die in den Krankenhäusern tätig waren, war München gar nicht auf zusätzliches Personal angewiesen.
Ich schrieb zurück ans Vermittlungsamt und bekam das Angebot: Kreiskrankenhaus Geislingen/Steige. Am 1. Dezember 1958 brachte mich der Zug München-Stuttgart dorthin. Ab Ulm wurde es immer enger, rechts und
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