Nicht ohne dich
wandte ein: »Onkel Hartmut kann Muffi nicht leiden.«
»Grete wird sie von Hartmut fernhalten«, erklärte Mama ruhig. »Es ist ja auch nicht für lange. Wenn in einem Monat noch nichts passiert ist, nehmen wir sie wieder zu uns.«
Als Tante Grete dann also das Kleid abholen kam, das Mama ihr für einen Neujahrsempfang geschneidert hatte, erzählte Mama ihr, Muffi sei ganz verstört wegen der vielen Bombenangriffe. Ob Tante Grete sie wohl eine Weile zu sich nehmen könne, bis sie sich beruhigt habe? Immerhin werde Wannsee seltener bombardiert. Mama versprach, dass wir jedes Wochenende hinausfahren würden, um mit ihr spazieren zu gehen.
»Aber natürlich«, entgegnete Tante Grete sofort. »Die Ärmste.« Sie rief Muffi zu sich, die schwanzwedelnd angelaufen kam. Tante Grete kraulte sie unter dem Kinn, und wir hofften, es würde alles glattgehen.
Als wir sie allerdings ins Auto verfrachteten, hielt sie nach uns Ausschau, weil sie glaubte, wir würden auch mitkommen. Ich schloss die Tür hinter ihr und sah sie, kaum dass der Fahrer den Wagen angelassen hatte, mit offenem Maul am Fenster hochspringen.
»Ach je«, sagte Mama. »Bestimmt fühlt sie sich von uns im Stich gelassen.« Sie begann zu weinen und konnte gar nicht mehr aufhören. So tapfer, wie sie die ganze Zeit über gewesen war, hätte ich nie vermutet, dass die Trennung von Muffi sie derart mitnehmen würde.
»Es ist ja nicht für immer«, meinte sie schließlich, und ich wusste, dass sie dabei nicht nur an Muffi dachte.
Nun waren wir also wirklich bereit für die Gestapo – kurz bevor Frau Mingers zurückkehrte.
Ich begegnete ihr auf dem Treppenabsatz. Sie marschierte an mir vorbei, als sei ich gar nicht da. Das war mir nur recht, aber am selben Abend gab es einen Luftangriff und sie saß im Keller Mama und mir gegenüber. Nun sah sie mich an, mit zusammengepressten Lippen und schmalen Augen. Sie krümmte die Finger, als wollte sie mir das Gesicht zerkratzen. Ich konnte förmlich ihre Gedanken lesen: Du bekommst schon noch, was du verdienst, wart’s nur ab, du dreckige Judenschlampe.
»Heute hat sie uns denunziert«, sagte ich zu Mama, als wir wieder oben waren. »Man sieht es ihr an.«
An diesem Abend kroch ich zu Mama ins Bett. Keine von uns fand viel Schlaf, wir wälzten uns hin und her. Und dann hämmerten sie an die Tür.
Mama schaltete die Nachttischlampe ein. Ich sah ihr bleiches Gesicht, sie blinzelte, weil es plötzlich so hell war. »Wir ziehen unsere Bademäntel an«, sagte sie, »und Hausschuhe. Ich gehe nicht barfuß da raus, selbst wenn sie die Tür eintreten.«
Bevor wir öffneten, nahm ich ihre Hand, und sie drückte sie fest mit den Worten: »Denk an Papa.«
Dann stürmten sie herein, wir mussten uns an die Wand stellen und sie durchsuchten die Wohnung, genau wie beim ersten Mal. Der Einsatzleiter stellte sich nicht einmal vor. Sie wüteten schlimmer als damals Brenners Leute. Mama zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie etwas zertrümmerten. Ich dachte: Das alles aufzuräumen, wird Stunden in Anspruch nehmen, und dabei sind wir beide so müde.
Nachdem sie das Unterste zuoberst gekehrt und in der Wohnung trotzdem nichts gefunden hatten, mussten wir mit ihnen hinuntergehen, wo sie die Rückwand des Theaters zerschmetterten. Gut, dass seit Raffis Aufenthalt in dem Raum so viel Zeit vergangen war. Inzwischen war er voller Staub und Spinnweben.
»So, so«, sagte der Einsatzleiter kalt zu mir, als der Raum offen vor ihm lag. »Es ist also nichts hinter dem Ding als nackte Mauer, was?«
Ich starrte hin. Mir war bewusst, dass ich erstaunt tun musste.
Mama sagte: »Sie hatte keine Ahnung davon. Ich schon, aber wir haben den Raum seit Jahren nicht genutzt. Mein Mann hat ihn vor elf Jahren angelegt, um unser Bargeld dort zu verstecken. Damals wurde in den Läden hier in der Gegend oft eingebrochen.«
»Und warum habt ihr Kommissar Brenner nichts davon gesagt?«, wollte der Gestapomann wissen.
»Ich wusste nicht mehr, wie man aufmacht und wollte nicht, dass Sie es aufbrechen und kaputt machen. Mein Mann hat so viel Arbeit reingesteckt …«
Er schlug ihr so hart ins Gesicht, dass sie taumelte. Ich wollte zu ihr, doch einer der Männer packte mich und riss mich zurück.
Der Einsatzleiter fauchte: »Was interessiert uns denn die Arbeit deines Mannes, du Schlampe? Na schön, ihr kommt mit, alle beide.«
Inzwischen war ich so außer mir vor Angst, dass ich ein leises Wimmern nicht unterdrücken konnte.
Mama warf mir einen kurzen
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