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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Blick zu und sah dann dem Einsatzleiter in die Augen, obwohl sie selbst auch zitterte. »Darf ich fragen, warum? Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte?«
    »Anhaltspunkte?«, konterte er. »Unverschämte Schlampe! Für wen hältst du dich eigentlich? Du Judenfreundin. Bist mit einem Quäker verheiratet, einem dreckigen Pazifisten und Verräter. Und was deine Hure von Tochter betrifft …«
    Wir mussten uns in Gegenwart eines seiner Männer anziehen. Mama forderte ihn auf, sich abzuwenden, und ich befürchtete schon, er würde sie ebenfalls ins Gesicht schlagen, doch er grunzte etwas und tat wie geheißen. Trotzdem war es ein scheußliches Gefühl. Ich streifte hastig meine Sachen über, ohne das Nachthemd auszuziehen. Dann versuchte ich Mama zu umarmen, aber er fuhr herum und drohte uns mit seiner Waffe.
    »Nichts dergleichen!«
    Sie stießen uns aus unserem Zuhause. Ich sah, wie sich Frau Mingers’ Tür rasch schloss. Sie hatte das Ganze voller Schadenfreude vom Treppenabsatz aus mitverfolgt. Ich hasste sie abgrundtief.
    Im Gefängnis wurden wir von zwei Wärterinnen erwartet. Die eine scheuchte mich vor sich her, die andere übernahm Mama. Mama drehte sich um und rief: »Jenny, ich hab dich lieb!«
    »Ich dich auch, Mama!«, rief ich zurück. Die Wärterin versetzte mir eine Kopfnuss.
    »Schluss jetzt mit dem Affenzirkus!«, herrschte sie mich an.
    Sie brachte mich in einen kahlen Raum, ließ mich meine Sachen ausziehen und durchsuchte sie. Ich fand es schrecklich, nackt vor ihr zu stehen, und das merkte sie.
    »Na, jetzt zierst du dich plötzlich, was?«, fragte sie mit einem brutalen Lachen. »Du, eine Judenhure?«
    »Ich bin keine Hure«, entgegnete ich. Daraufhin versetzte sie mir einen so harten Schlag, dass ich zu Boden fiel und mir vor Schmerz die Luft wegblieb. Sie lachte wieder über mich. Ich fühlte mich klein, gedemütigt, allein und vollkommen verängstigt. Ich dachte: Ob sie Mama wohl auch schlagen?
    »Anziehen!«, befahl die Wärterin.
    Ich durfte die beiden Pullover anbehalten, die ich übergezogen hatte, meine Jacke, meine Mütze und meine Schuhbänder hingegen konfiszierte sie. Dann führte sie mich viele Flure entlang – zu meiner Zelle, nahm ich an. Mit offenen Schuhen zu gehen war mühsam. Im letzten Korridor öffnete sie eine Tür, schubste mich durch und drehte den Schlüssel im Schloss.
    Von der Decke baumelte an einem verstaubten Kabel eine schwache Glühbirne. Auf einer schmalen Pritsche lagen ein Strohsack und eine Decke. Kein Kissen. Es stank nach Chlor. Der üble Geruch stieg, wie ich erst nach einer Weile feststellte, von einem Eimer in der Ecke auf. Bis mir dämmerte, dass das die Toilette war, dauerte es noch mal eine Weile. Ich entdeckte den Spion in der Tür und begriff, dass sie mich beobachten konnten, wann immer sie wollten. Inzwischen hatte Panik mich ergriffen. Nie im Leben hatte ich solche Angst gehabt.
    Ich legte mich auf die Matratze und zog mir die Decke über den Kopf, damit niemand, der hereinspähte, mein Gesicht sehen konnte. Zitternd und weinend lag ich so da, lange, lange Zeit. Dann glaubte ich plötzlich Mama sagen zu hören: »Jenny, wir haben zu tun.« Es war so real, dass ich die Decke lüftete und mich nach ihr umsah. Als ich sie nicht entdecken konnte, war ich sicher, dass ich ihre Gedanken gelesen hatte.
    Ich ging im Geiste all die Lügen durch, die wir zusammen einstudiert hatten, die ich aber in meinem Kopf nicht als Lügen führen durfte. Für mich musste das die Wahrheit sein. Es war schlimm, Raffi aus meinem Gedächtnis zu verbannen, aber ich zwang mich dazu. Schließlich ging es ebenso um sein wie um mein Leben. Dann dachte ich an Papa, auch er war im Gefängnis gewesen, vielleicht sogar hier, in der Männerabteilung. Ich stellte mir vor, wie er sagte: »Jennylein, ich hab dich lieb.« Das gab mir ein wenig Mut.
    Das Nächstwichtigste war nun zu schlafen, damit ich stark genug sein würde, an meiner Geschichte festzuhalten. Ich stand auf und suchte nach dem Lichtschalter. Es gab keinen. Als ich mich wieder hinlegte, fingen die Wanzen an zu beißen. Die würden mich nicht in Ruhe lassen. Es war verrückt, aber mir kam es vor, als würde Frau Besenstiel sie anstacheln. In meiner Fantasie stand sie da und lachte wie die Wärterin, als sie mich geschlagen hatte. Und die Angst kam zurück und schüttelte mich wie ein Fieberanfall.
    Am Morgen kommandierte mich die gleiche Wärterin aus meiner Zelle und brachte mich in den Gefängnishof. Ich musste zusammen

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