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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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das Hotel, in dem er wohnte, war ausgebombt worden, und er hatte mir das Leben gerettet. Mama war ihm dankbar. Und als sie nach oben musste, Feuerwache halten, na ja, wir waren uns sympathisch. Da ist es eben passiert.«
    Der Gestapomann trat hinter dem hellen Licht hervor und schlug mir hart ins Gesicht. Erst jetzt sah ich ihn. Es war Brenner.
    »Schluss mit all den Lügen«, sagte er. »Du bist mit Jakobi ins Bett gegangen. Mit dem Scheißjuden, den ihr hinter eurem Scheißtheater versteckt hattet.«
    Ich sagte: »Passen Sie bloß auf, wie Sie mich behandeln, Kommissar Brenner.« Meine Stimme war unnatürlich hoch und zitterte. Selbst in meinen eigenen Ohren klang sie dümmlich. »Ich bin nämlich mit General Montgomery verwandt, wissen Sie. Er ist ein Cousin meiner Mutter.«
    »Was interessieren mich irgendwelche Engländer«, konterte Brenner. »Und komm mir bloß nicht mit deinem Onkel Hartmut Hansen. Der wird wegen einer Judenhure nicht den Kopf riskieren.«
    Er trat zurück hinter die Lampe und bombardierte mich erneut mit Fragen. Mit den gleichen, immer wieder. Am nächsten Tag genauso, und am übernächsten auch.
    Nachts fand ich keinen Schlaf. Es war zu kalt. Wenn ich doch eindöste, sorgten das Licht und die Wanzen dafür, dass ich bald wieder wach wurde. Ich lag weinend in meiner Zelle und jammerte der Strohmatratze und der übel riechenden Luft vor, dass das nicht gerecht war. Ich war so müde, ich brauchte doch ein paar Stunden Ruhe, warum enthielt man sie mir vor? Sogar die Wanzen flehte ich an, abzuhauen. Und ich dachte ständig an Mama. Allerdings merkte ich bald, dass ich mir nicht vorstellen durfte, wie sie in der Prinz-Albrecht-Straße verhört wurde, denn ich hatte genug damit zu tun, mit meinen eigenen Verhören fertig zu werden – auch ohne dass ich mir ausmalte, was Mama durchmachte. Ab und zu sann ich düster über Frau Mingers nach, schärfte meinen Hass wie ein Messer, das ich aus der Ferne auf sie in ihrem Bett zu richten versuchte. Es ist wirklich wahr, ich wünschte mir, ich könnte sie töten.
    Bei Fliegeralarm ließ man uns in unseren Zellen, aber die Wärterinnen befahlen uns, die Fenster zu öffnen, damit sie durch die Druckwellen keinen Schaden nahmen – genau wie wir es zu Hause auch getan hätten. Das war die einzige Zeit, in der das Licht abgeschaltet wurde. Ich ging zum Fenster, zog das Verdunklungsrollo hoch und sah mir den Luftangriff an. Jedes Mal, wenn eine Bombe fiel, kreischte die Frau in der Zelle nebenan: »Ach du lieber Gott, ach du lieber Gott!« Ich hingegen stand da, kalt und ruhig, und schaute zu, wie die Leuchtbomben, die wir Christbäume nannten, herabschwebten. Der rote Schein der Brandbomben, die die zerstörten Häuser in Brand setzten, überzog den Himmel. Während der Luftangriffe war ich jenseits der Angst. Es war verrückt, aber ich hatte das Gefühl, mir könnte nichts passieren. Ich war Zuschauer, weiter nichts.
    Das Essen, das ich bekam, schmeckte abscheulich, aber ich war so ausgehungert, dass ich alles aufaß.
    Dann eröffnete mir Brenner eines Tages, Mama habe gestanden, ich könne also getrost ebenfalls aufgeben.
    »Wenn du uns sagst, wo der Jakobi-Junge hin ist, wirst du nicht hingerichtet«, erklärte er.
    Einen Augenblick lang glaubte ich ihm, doch dann hörte ich Karls Stimme in meinem Kopf. »Sie werden dir erzählen, jemand anders habe alles gestanden. Das gehört zu den üblichen Methoden. Für einen, der nicht im Gefängnis sitzt, klingt es idiotisch, aber wenn man drin ist, wirkt es offenbar sehr zuverlässig.«
    Ich dachte: Wahrscheinlich erzählen sie ihr, ich hätte gestanden.
    Karl hatte gesagt: »Denkt daran, wenn sie schon alles wissen, warum wollen sie es dann unbedingt auch noch aus dir rauskriegen? Ihr werdet kämpfen, jede für sich. Um euer eigenes Leben wie um das Leben der anderen.«
    Mamas Leben, dachte ich, und in meinem Kopf flüsterte eine ganz leise Stimme: Und Raffis. Nein, wies ich mich zurecht, das darfst du nicht denken.
    Laut sagte ich: »Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Woher soll ausgerechnet ich wissen, wo er ist?«
    »Ach, komm schon«, meinte Brenner fast schmeichelnd. »Wenn du es uns sagst, geht das zu deinen Gunsten. Du bist jung, vielleicht richten wir dich nicht hin.« Und dann: »Denk doch an deinen Vater. Willst du, dass er seine ganze Familie verliert?«
    Ich war völlig benommen vor Müdigkeit. Plötzlich schwindelte mir und ich glaubte Papas Stimme zu hören, wie er über den Ozean aus Licht

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