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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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nicht verstand, warum es geschah. Ich trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust wie damals als kleines Mädchen.
    »Ich weiß«, sagte er. »Es ist wirklich übel. Und Schweine wie er nennen sich gute Deutsche. Aber ich habe Glück, Jenny, so was gibt es in Nordafrika nicht.«
    Ich war schockiert. »Ach Karl, du würdest dich doch nie freiwillig melden, um Juden umzubringen.«
    Fast wie zu sich selbst entgegnete er: »Nein, aber du kannst drauf wetten, wer das nicht tut, wird als Feigling abgestempelt.«
    Plötzlich erzählte ich ihm, wie es gewesen war, Hitler zu sehen. Ich glaube, er war der einzige Mensch, dem ich das überhaupt jemals erzählen konnte. Er sagte: »Er strahlt Macht aus, das kann einen ganz schön beeindrucken.« Ich wusste also jetzt, dass er manchmal das Gleiche empfunden hatte, und fühlte mich weniger allein damit.
    Er tätschelte mir den Rücken. »Hauptsache, du legst diese Gefühle hinterher wieder ab. Aber das zeigt dir, warum er bei vielen Leuten Erfolg hat.« Und dann sagte er noch: »Es kann nicht ewig dauern, Jenny. Kann es einfach nicht.«
    Beim nächsten Mal, als ich Raffi die Lebensmittel brachte, begleitete er mich. Zu Mama sagte er: »Wir werden uns ein ruhiges Plätzchen suchen und ein wenig mit ihm plaudern.« Mama wollte schon den Kopf schütteln, aber Karl entgegnete: »Ich weiß, dass man vorsichtig sein muss, Mama.«
    »Na schön«, erwiderte sie, aber glücklich war sie nicht darüber, das merkte ich.
    Dieses Mal gingen wir in ein Café. Sicherheitshalber wieder in eines, wo es laut war. Ich konnte Raffi nicht berühren, das war hart. Wir setzten uns an einen Tisch in einer Ecke. Karl wollte wissen, wie schlimm die Situation für Raffi und Tante Edith war. Raffi spielte die Schwierigkeiten herunter.
    »Manchmal sind Leute ganz nett«, erklärte er. »Eines Abends, als Mama mit der Trambahn von der Arbeit nach Hause fuhr – du weißt ja, mit der Tram darf sie nur fahren, weil es zur Fabrik so weit ist, und hinsetzen darf sie sich trotzdem nicht.«
    Karl nickte finster.
    »Na ja, da ist ein Arbeiter für sie aufgestanden. ›Kommen Sie, meine Dame‹, sagte er. ›Ruhen Sie Ihre müden Beine aus.‹ Als ihn ein gut gekleideter Typ dafür gerüffelt hat, blaffte ihn der Arbeiter nur an: ›Hör gut zu, Freundchen, ich tu verdammt noch mal, was mir passt.‹ Und einmal rempelte eine Frau Mama an und rief: ›Drecksjüdin!‹, schob ihr dabei aber ein Päckchen mit Butter und Fleisch in die Hand.«
    Er lächelte, aber er sah wirklich erschöpft aus. Ich hätte gern seine Hand gestreichelt. Doch das ging nicht, jetzt, wo Karl dabei war.
    »Warum können wir uns nicht mit solchen Leuten zusammentun und die Nazis abschaffen?«, brachte ich vor.
    Karl runzelte die Stirn. »Ich würde gegen sie kämpfen, wenn ich könnte. Aber wir wären nicht genug. Nicht die kleinen Parteigänger wie die Mingers sind das Problem, sondern all die anderen, die sich raushalten, weil sie nicht Stellung beziehen wollen.«
    »Eines Tages bekommen diese Schweine, was sie verdienen. Ich hoffe bloß, dass ich das noch miterlebe«, meinte Raffi und zuckte mit den Schultern.
    »Das wirst du«, entgegnete Karl rasch. »Du wirst dabei sein und jubeln, wenn man sie aufhängt.«
    Dann wollten wir nicht mehr über diese schlimmen Dinge sprechen und begannen herumzualbern. Fast, als wären wir alle drei wieder Kinder. Fast.
    Als wir bezahlt hatten und das Lokal verließen, sagte Karl: »Jetzt lasse ich euch allein, damit ihr euch verabschieden könnt.« Ich sah ihm nach, als er entspannt vorausschlenderte.
    »Er weiß Bescheid«, stellte Raffi fest. »Wahrscheinlich ist es kaum zu übersehen.«
    Eines Abends wandte sich Karl an uns: »Jenny, Mama – ihr wisst ja, dass man uns beibringt, wie wir uns im Fall der Gefangennahme zu verhalten haben. Denn natürlich würden die Tommys versuchen, Informationen aus uns herauszukriegen. Wir dürfen nur unseren Namen und unsere Nummer angeben und keinerlei weitere Fragen beantworten. Das üben wir, indem wir einander anschreien und versuchen, die anderen zum Reden zu bringen. Damit wir im Ernstfall schweigen können. Also, ihr beide solltet das auch trainieren, nur für den Fall des Falles …«
    Ich hatte einen Kloß im Hals und brachte kein Wort heraus.
    »Studiert einfach ein, was ihr preisgeben wollt«, fuhr Karl fort. »Wiederholt es so oft wie möglich, bis ihr es auswendig wisst.«
    Mama nickte mit finsterer Miene.
    »Zum Beispiel«, schlug er vor, »könntet

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