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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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ihr euch Omas Mädchennamen zunutze machen.«
    »Montgomery«, sagte Mama und musste lachen. »Der Mann, den die Briten gegen Rommel ins Feld geschickt haben?«
    »Unseren frischgebackenen Cousin zweiten Grades«, bestätigte Karl grinsend. Wieder ernst fuhr er fort: »Weißt du, Mama, in Afrika läuft es für uns nicht mehr gut. Anderswo auch nicht, kann ich mir vorstellen. Insbesondere jetzt, wo die Amerikaner in den Krieg eingetreten sind. Die Gestaposchweine wissen das wahrscheinlich besser als jeder andere, und sie machen sich bestimmt Gedanken darüber, was mit ihnen geschehen wird, wenn wir den Krieg verlieren. Leute, die in England Verwandte in hohen Positionen haben, werden sie schonend behandeln. Ich habe eine Idee: Probieren wir es doch an Onkel Hartmut und Tante Grete aus!«
    Als wir also unseren Pflichtbesuch in der Villa absolvierten und Onkel Hartmut Karl Fragen über Afrika stellte, erklärte dieser unvermittelt: »Aber seltsam ist es schon, gegen die eigenen Verwandten zu kämpfen.«
    Onkel Hartmuts Augen wurden schmal. »Welche Verwandten?«, wollte er wissen.
    Mama sagte erstaunlich gelassen: »Meine Mutter hat doch mit Mädchennamen Montgomery geheißen.«
    Ihr Ton ließ durchblicken, dass Onkel Hartmut und Tante Grete das hätten wissen müssen.
    »Du bist mit General Montgomery verwandt?«, bohrte Onkel Hartmut nach und starrte sie dabei an wie ein Stier kurz vor dem Angriff.
    »Er ist mein Cousin zweiten Grades«, bestätigte Mama, als verstünde sie gar nicht, warum ihn das so interessierte.
    »Das hast du uns noch nie erzählt«, sagte Onkel Hartmut.
    »Warum auch?«, meinte Mama. »Ihr habt ja nie gefragt.«
    Schweigen. Dann sagte Onkel Hartmut: »Ihr hattet also vor dem Krieg Kontakt?«
    »Ich habe ihn seit unserem letzten Besuch in England nicht mehr gesehen«, erzählte Mama. »Und das ist sehr lange her. Aber bis zum Kriegsausbruch stand ich mit meinen englischen Verwandten ständig in Verbindung.«
    Daraufhin wechselte er das Thema. Ich fragte mich, ob er ihr wohl glaubte.
    »Das ist egal«, meinte Karl anschließend. »Für euch war es eine Übung. Jetzt haltet an der Geschichte fest und arbeitet daran, schmückt sie mit Details aus, stellt sie euch vor, als wäre es Realität. Und denkt auch darüber nach, wie ihr euch Onkel Hartmut zunutze machen könnt. Er kennt wirklich jeden. Und wen man kennt, zählt, Mama.«
    Mir fiel der Mann mit dem Bürstenschnitt aus dem Café Kranzler ein. »Oder wen man zu kennen vorgibt«, ergänzte ich.
    Im November, nach der Schlacht von El Alamein, die Rommel gegen Montgomery und die Amerikaner verloren hatte, kam ein Telegramm. Papa galt als vermisst, vermutlich war er in Gefangenschaft.
    »Er lebt«, erklärte Mama. »Ich spüre es.«
    Ich nickte. Den Gedanken, Papa könnte tot sein, konnte ich nicht zulassen. Aber ich hatte schreckliche Angst. Ich weinte seinetwegen an Raffis Schulter, und nachts in meinem Bett. Schließlich kam über das Rote Kreuz der erste Brief, aus einem Gefangenenlager in Afrika. Fünfundzwanzig Wörter, darauf mussten wir uns jetzt pro Brief beschränken. Aber wir waren ungeheuer erleichtert. Er war in Sicherheit und nicht mehr an der Front.
    Anfang Februar sah man sich sogar beim deutschen Rundfunk genötigt zuzugeben, dass die gesamte Sechste Armee nach der Schlacht von Stalingrad kapituliert hatte.
    »Das ist der Anfang vom Ende«, meinte Raffi erregt. »Wenn wir bloß durchhalten …«
    Dann kam ein weiteres Telegramm, diesmal betraf es Karl. Er war in Tunesien gefallen. Kein Zweifel möglich. Der Lastwagen, auf dem er sich befunden hatte, war in die Luft gesprengt worden.
    Millionen von Menschen gibt es auf der Welt, aber wenn man einen einzigen verliert, der einem so viel bedeutet wie uns Karl, ist nichts je wieder, wie es war.
    Irgendwie kann ich es immer noch nicht recht glauben.

Kapitel Elf
    R affi umarmte mich, wir standen im Regen an einer Hausmauer aneinandergeschmiegt. Und weinten beide.
    »Verdammt noch mal«, sagte er. »Verflucht. Warum ausgerechnet Karl?«
    Ich sagte: »Wir mussten es Papa in fünfundzwanzig Wörtern mitteilen.« Den Inhalt des Briefes, den wir über das Rote Kreuz geschickt hatten, kannte ich auswendig. »Mama und ich haben ihn immer wieder durchgelesen und versucht, die geeignete Formulierung zu finden. Aber für so etwas gibt es keine richtigen Worte. Und es tat so weh, ihm das mitteilen zu müssen, Raffi. Es tut mir immer noch weh.«
    Karl gefallen , hatten wir schließlich geschrieben.

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