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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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schwerhörig. Ihr war wohl nicht bewusst, wie laut sie gesprochen hatte, bis sie merkte, dass die Frau gegenüber sie anstarrte. Daraufhin verstummte sie. Aber ich sah Mama an, sah, wie ihre Augen ganz groß und dunkel wurden – sie empfand die gleiche Angst wie ich.
    Die SS holte jetzt mehr und mehr Juden ab, ohne Vorankündigung tauchte sie bei ihnen zu Hause oder am Arbeitsplatz auf, sodass ihnen keine Möglichkeit zur Flucht blieb. Sie wurden jetzt durch neue Zwangsarbeiter ersetzt: Männer und Frauen aus Frankreich, Holländer, manchmal Russen.
    Mein Herz begann in meiner Brust wie verrückt zu hämmern und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.
    Brennmaterial war immer noch knapp, und so nahmen wir jetzt alle Mahlzeiten in der Küche ein, um das Esszimmer nicht heizen zu müssen. An jenem Abend aßen wir früh, schon gegen halb sechs – damit wir es hinter uns hatten, sagte Mama, und ich nickte dazu. Es gab jetzt kaum mehr anständiges Essen, obwohl Katrin immer noch für uns Lebensmittel organisierte. Aber das war nicht der Grund, warum uns der Appetit vergangen war. Seit Karls Tod hatte keine von uns eine Mahlzeit genießen können.
    Wir hatten gerade angefangen, unseren dünnen Rindfleischeintopf zu löffeln, als es an der Tür klingelte – nur ganz kurz, als wollte jemand vermeiden, Lärm zu machen. Muffi bellte.
    »Muffi!«, sagte Mama. »Ruhig!«
    Ich öffnete die Tür zur Hintertreppe und rannte hinunter. Mama kam hinter mir her. Draußen stand Raffi, dreckig und stinkend von der Arbeit im Gaswerk.
    Ich zog ihn herein und schloss die Tür so leise ich konnte. Wir umarmten uns. Seine Panik ging auf mich über und legte sich wie eine schreckliche Kralle um mein Herz. »Was ist passiert?«, flüsterte ich.
    Er öffnete den Mund, doch Mama, die noch auf der Treppe stand, zischte: »Nein! Nicht hier!«
    Ich sah sie an und mir wurde bewusst, dass wir uns verraten hatten. Hand in Hand gingen wir die Stufen hinauf, schwiegen aber, bis wir in der Küche waren und auch diese Tür hinter uns geschlossen hatten.
    »Sie sind gekommen, um uns zu holen«, sagte Raffi, der immer noch meine Hand hielt.
    Mamas Gesicht wurde sehr bleich, und ihre Augen, unter denen tiefe Schatten lagen, blickten angespannt.
    »Um kurz vor fünf. Ich habe mich hinter den Kohlebehältern versteckt. Dass ich so davonkommen könnte, hätte ich nie geglaubt. Sie hatten eine Liste mit Namen, aber als sie mich aufriefen, sagte der Vorarbeiter, ich sei an diesem Tag nicht erschienen. Und der Polizist meinte: ›Arbeitsscheuer Jude, was? Wir holen ihn zu Hause ab.‹ Er erklärte, sie würden eine halbe Stunde später einen Haufen Holländer bringen. Einfach so. Der Vorarbeiter beschwerte sich lauthals, die müsste man ja erst anlernen, doch der SS-Mann behauptete, es handle sich um erfahrene Gasarbeiter.« Er hielt inne und wischte sich mit dem Handrücken über die Wange, die dadurch noch schmutziger wurde. »Der Vorarbeiter ließ sie abziehen und kam dann zu mir hinter die Behälter – er wusste genau, wo ich mich versteckt hatte – und sagte, ich solle meinen Stern abnehmen und sofort verschwinden. Also bin ich hierher gekommen, zu Fuß. Ich habe mich nicht getraut, die Trambahn zu nehmen, für den Fall, dass man mich kontrolliert hätte. Und jetzt …«
    »Du machst dir Sorgen um deine Mutter«, vermutete Mama.
    Seine Hand zitterte leicht. Ich drückte sie.
    »Wenn sie bei uns zu Hause auftauchen …«, fing er an und biss sich auf die Unterlippe. »Ich würde es nicht rechtzeitig schaffen.«
    »Du sowieso nicht«, sagte Mama. »Du willst ja wohl nicht, dass sie dich schnappen.«
    »Ich werde gehen«, erklärte ich. »Wenn ich Tante Edith antreffe, bringe ich sie her.«
    »Danke, Jenny«, entgegnete er. Seine Stimme klang rau und müde. Er hatte den ganzen Tag geschuftet, er hatte sich in Todesangst versteckt, und jetzt war er außer sich vor Sorge um seine Mutter.
    Ich drückte ein letztes Mal seine Hand und ging dann hinaus in den Flur, um Mantel und Schuhe anzuziehen. Jetzt zählte jede Sekunde. Mama kam hinter mir her.
    »Vielleicht sucht die SS auch hier bei uns nach Edith und Raffi. Falls sie gerade da sind, wenn ihr kommt, dann haltet euch fern, bis sie wieder abziehen. Ich verstecke Raffi.«
    Ich wusste, wo sie ihn verstecken würde.
    Ich hastete zur Trambahnhaltestelle. Gerade näherte sich eine Bahn, ich hörte sie in der Dunkelheit heranrattern und rannte noch schneller, als sie mich überholte. Ein paar Minuten blieb sie

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