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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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auf dem Foto an, er blickte dann mit seinen gütigen, klugen Augen zurück. Aber ich wusste ja, dass er mich nicht wirklich sehen konnte, und fühlte mich innerlich ganz leer und wund.
    Als Karl uns erzählte, warum er zu Hause war, erblasste Mama. Seine Einheit war so gut wie vernichtet worden. »Die meisten wurden gefangen genommen«, sagte er rasch. »Hauptmann Seebohm hatte den Großteil unserer Einheit an die vorderste Front geschickt. Eine Riesendummheit. Mein Zug war an jenem Tag allerdings mit der 90. Leichten Division unterwegs – ach, vergiss die ganzen Bezeichnungen, Mama. Darum kamen wir jedenfalls davon. Jetzt werden die Tommys versuchen, meinen Kameraden so viele Informationen wie möglich abzupressen. Die armen Kerle. Na, jedenfalls bin ich zum Leutnant befördert worden und muss jetzt in Frankfurt die neue Einheit ausbilden. Hört mal, es ist so ein schöner Tag, wollen wir nicht nachmittags an den See fahren? Seit ich im Wüstensand kämpfen muss, ohne jede Bademöglichkeit, ist mir erst richtig bewusst, was für ein Glück wir haben mit unseren Sandstränden in der Stadt!«
    Wir fuhren hinaus an den Wannsee. An Wochentagen wie diesem war nicht viel los am See. Es war ein herrlicher Nachmittag. Anschließend fuhr Mama mit dem Zug weiter, um beim Kurzwarenhändler Garne abzuholen. Als Karl und ich zu Hause eintrafen, stießen wir auf Norbert und Willi Mingers, die gerade das Geschäft zumachten.
    »Heil Hitler«, war Norberts garstige Begrüßung. »Hier kommt der Afrikakorpsheld Friedemann, braun gebrannt vom Sonnenbaden, während unsere übrigen Kämpfer sich in Russland bei den Untermenschen zu Tode frieren.« Mit Blick auf Karls und meine nassen Haare fuhr er fort: »Und heute wart ihr Schwimmen, was? Ist ja schön, dass ihr es euch leisten könnt, nachmittags die Werkstatt zu schließen.«
    Karl entgegnete einfach nur: »Hallo, Norbert.« Ich selbst hatte nicht das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
    Norbert bedachte ihn mit einem bösen Blick, weil er nicht Heil Hitler gesagt hatte. »Und, wie ist es da unten?«, wollte er wissen. »Mit dem wunderbaren Rommel, den alle so lieben?«
    »Er ist ein guter General«, sagte Karl knapp. »Komm, Jenny, gehen wir rauf.«
    »In Russland ist es aber manchmal lustig, stimmt doch, Norbert, oder?«, fragte Willi augenzwinkernd.
    Da baute sich Norbert vor Karl auf und fragte ihn provozierend: »Brächtest du fertig, was ich getan habe, Afrikakorpsheld? Hör zu, eines Abends kam unser Oberleutnant raus, er wollte fünfzehn Mann mit starken Nerven für einen Einsatz am nächsten Tag. Es meldeten sich viele Freiwillige. Der Einsatz bestand darin, Ungeziefer zu vernichten, also Juden abzuknallen. Wir trieben sie in den nächsten Sumpf.« Er lachte und beobachtete dabei Karls Miene. »Ein Haufen Feiglinge war das, klammerten sich aneinander, Männer und Frauen, und die Kinder hielten sich an den Beinen ihrer Mütter fest. Wir mähten sie nieder. War ’ne harte Sache, aber wir haben es durchgezogen. Hinterher bekamen wir Schnaps bis zum Abwinken.«
    Mir war schwindelig und übel. Die Geschichten stimmten also wirklich. Sie transportierten die Juden in den Osten, um sie umzubringen. Und Norbert hatte ganz normale Familien mit Kugeln durchsiebt und anschließend gefeiert und getrunken. Das Ganze war so sinnlos. Ich wusste nur zu gut, wie sehr die Nazis die Juden hassten, aber verstehen konnte ich es trotzdem nicht.
    Karl wandte den Kopf und warf mir einen kurzen Blick zu: Ganz ruhig, sagten mir seine Augen, zeig ihm nicht, was du empfindest. Ich holte tief Luft und presste die Lippen aufeinander.
    Sehr ruhig, aber kalt sagte Karl: »Klingt, als hättest du Spaß daran gehabt.«
    »Ja«, bestätigte Norbert, der uns immer noch den Weg verstellte. »Besser, als zusammengekrümmt über einem Funkgerät zu hängen.«
    »Ich habe nicht nur Funksignale entschlüsselt, sondern auch gekämpft«, erklärte Karl und sah Norbert in die Augen. So dicht, wie Norbert vor uns stand, hätte Karl ihn mit einem einzigen Schritt umrennen können. Und plötzlich spürte ich, dass mein Bruder tatsächlich gekämpft hatte, er strahlte etwas aus, etwas Gefährliches.
    Auch Norbert nahm es wahr. Norbert, der Mörder, wankte und machte uns Platz.
    »Danke«, sagte Karl und wir gingen hinauf. Sobald wir die Wohnung betreten hatten, begann ich zu weinen, und er nahm mich in die Arme und hielt mich fest, bis ich alles aus mir herausgeschluchzt hatte – dass ich es nicht wahrhaben wollte und

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