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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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erfassen versuchten, damit die Flak sie abschießen konnte. Und ich dachte: Holt sie alle runter, dann können sie Raffi nicht töten.
    Eine Explosion erschütterte die Kellerwände und ließ die nutzlose Glühbirne schwanken. Und Raffi kauerte oben unter dem Küchentisch, das alberne cremefarbene Küchensieb mit dem grünen Rand auf dem Kopf. Ich versuchte ihm in Gedanken eine Botschaft zu schicken: Ich liebe dich, Raffi, ich liebe dich. Und ich glaubte seine Antwort zu empfangen: Ich liebe dich auch, Jenny.
    Ein schwerer Einschlag schien das ganze Haus anzuheben.
    »Himmel«, murmelte Janke. »Das war nah.«
    Da fing Frau Mingers lauthals an, ein Nazilied zu schmettern.
    »Wollen Sie denn nicht mitsingen?«, fragte sie herausfordernd und musterte uns reihum.
    Also mussten wir das komplette Machwerk mit ihr absingen, aus Angst, sie könnte uns denunzieren, dabei hätte ich ihr am liebsten ins Gesicht geschrien: »Ich schlafe mit dem Jungen, den ich liebe, und er ist ein Jude, hören Sie? Ich treibe Rassenschande, so nennen Sie das doch. Und ich hätte so gern ein Kind von ihm, einen süßen kleinen halbjüdischen Sohn, und falls ich schwanger werde, ist mein Baby bestimmt viel hübscher als Ihre abscheulichen arischen Gnome …«
    Mir kam der Gedanke, dass alle im Keller Anwesenden – außer Frau Mingers – womöglich wussten, dass Raffi ganz allein da oben in unserer Wohnung saß. Wenn Janke es seiner Frau erzählt hatte und Frau Tillmann Herrn Tillmann, würden sie alle hoffen, dass er überlebte. Sie mochten ihn gern, schließlich kannten sie ihn von Kindesbeinen an. Bei dieser Vorstellung fühlte ich mich ein klein wenig besser.
    Die Entwarnung kam und unser Haus stand noch, aber ich konnte nicht zurück zu Raffi. Ich war an der Reihe, mit Janke auf dem Dach Feuerwache zu halten. Unter meinen Füßen knirschte der herabgefallene Putz, als ich ihm durch den Dachboden folgte. Durch die Erschütterungen waren die Spinnweben zerrissen, die jetzt in Fetzen von den Dachbalken hingen.
    Plötzlich sagte Janke: »Als ihr noch kleine Knirpse wart, habt ihr an Regentagen oft hier oben gespielt, ihr drei.«
    »Ja«, sagte ich verhalten.
    »Richtige Rotzgören wart ihr, ich musste immer mit euch schimpfen.« Aber es klang traurig. »Schlimme Zeiten«, fügte er noch hinzu. »Da ist ein Dachziegel runtergefallen, das muss ich reparieren. Na schön, gehen wir hoch.«
    Unbeholfen kletterte er die steile Treppe hinauf – sie war eher eine Leiter und für ihn mit seiner Beinprothese schwer zu erklimmen.
    Ich war noch nie zuvor aufs Dach gestiegen. Karl hatte damit angegeben, er sei schon mal oben gewesen, aber Raffi und ich glaubten ihm nicht. Die Falltür war immer fest verschlossen gewesen, als wir daran gerüttelt hatten.
    Ich schob mir das Halstuch vors Gesicht.
    »Kannst wohl keine Gasmaske ertragen, was?«, fragte Janke durch sein eigenes Tuch hindurch. Ich nickte. Er lachte rau. »Sollte es einen Gasangriff geben, ersticken wir in den Dingern sowieso.« Als wir durch die Falltür schlüpften, kamen wir direkt neben dem Kamin heraus. »Gefällt dir mein Krähennest?«, wollte Janke wissen. »Hübsch, nicht wahr? Habe es vor Jahren gebaut.«
    Er hatte eine grobe Holzplattform mit einem Geländer rundherum gezimmert. Dort standen wir mit dem Rücken zum Kamin. Der Rauch, der über unser Dach geweht wurde, behinderte meine Sicht. Dann wurde die Luft klarer.
    Auf unserer und der gegenüberliegenden Straßenseite ragte eine dunkle Masse unversehrter Häuser auf, ungefähr fünfzig Meter bis runter zur nächsten Querstraße und noch einmal fünfzig Meter bis kurz vor dem Kurfürstendamm. Jenseits davon brannten viele Häuser lichterloh.
    »Du lieber Himmel«, murmelte Janke, und dann: »Man wird ausgebombte Familien bei uns einquartieren, Fräulein, da kannst du drauf wetten, wo doch bei uns vier Wohnungen leer stehen. Leute, die wir nicht kennen.« Er hielt inne und sah mich an. Was kommt jetzt?, dachte ich.
    »Sag dem Burschen, er soll von jetzt an in der Wohnung bleiben. Was er bisher getrieben hat, ist gefährlich.«
    Das war alles. Ich erwiderte nichts darauf. Wir blieben zwei Stunden oben und sahen zu, wie Berlin brannte.
    Bevor ich zu Raffi ins Bett schlüpfte, wusch ich mir Gesicht und Hände. Er war wach.
    »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte er. »Ist es schlimm da draußen?«
    »Ja.« Er nahm mich in die Arme und wir küssten uns. Ich war schon dabei, alles andere auszublenden, fragte aber doch: »War

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