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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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vergehen, du dreckige kleine Schlampe.«
    Frau Janke, die gerade den Müll runterbrachte, sagte an Frau Mingers gewandt: »Die Friedemanns sind gute Leute. Wenn Gott sie beschützt, sollten wir dankbar dafür sein.«
    Ich wusste, dass Janke ihr von Raffi erzählt hatte.
    »Was wäre wohl aus Willi Mingers unter einer besseren Regierung geworden?«, fragte ich Raffi.
    »Er wäre immer nur ein Schwein gewesen«, meinte Raffi. »Aber ich frage mich, was aus mir ohne die Nazis geworden wäre. Wahrscheinlich wäre ich leichtfertiger gewesen. Das hätte ich schön gefunden.«
    »Jedenfalls wärst du nicht mit mir im Bett«, sagte ich. Ich erwähnte nicht, dass er leichtfertig genug gewesen war, da jetzt immerhin drei, vielleicht sogar vier Personen außerhalb unserer Familie wussten, wo er sich versteckte. Mama hatte es ihm bereits beim Essen gesagt. »Du würdest nebenan wohnen und wir würden uns treffen wie ein braver Junge und ein braves Mädchen aus gutem Hause.«
    Raffi grinste mich an. »Das wäre ganz nach dem Geschmack deiner Mutter.«
    »Vielleicht wäre unsere Freundschaft so normal für uns gewesen, dass wir uns gar nicht ineinander verliebt hätten.«
    »O nein«, widersprach Raffi und küsste mich. »Ich war schon immer in dich verliebt.«
    Mir fiel ein, was Mama gesagt hatte, aber ich neckte ihn. »Sogar damals, als du mich an den Haaren gezogen hast?«
    »Das war nur meine Art, es dir zu zeigen. Das kriege ich inzwischen besser hin.«
    Das stimmte. Wir wurden beide immer besser darin, uns zu lieben.
    Einmal sagte er zu mir: »Ich habe mich immer gefragt, warum ich überlebt habe, nachdem Mama gegangen ist, aber jetzt weiß ich es. Es ist nicht nur um ihretwillen oder um deinetwillen, nicht einmal um meinetwillen. Sondern um Zeugnis abzulegen. Wer weiß, wie viele deutsche Juden überhaupt noch übrig sind?« Er schauderte. »Die Menschen werden erfahren müssen, was passiert ist. Und ich muss mehr darüber herausfinden, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Ohne die Nazis wäre ich vielleicht weiterhin einfach nur ein Deutscher gewesen und hätte vergessen, dass ich anders bin. Aber jetzt …«
    Ich entgegnete: »Wenn die Alliierten siegen und alles vorbei ist, was wird es dann wohl bedeuten, ein Deutscher zu sein? Sie werden uns ein Volk von Mördern nennen.« Plötzlich überfielen mich Trauer und Hoffnungslosigkeit. Ich begann zu zittern. »Die Nazis haben so viele gute Menschen getötet.« Ich dachte an Onkel Markus und Karl – und natürlich Tante Edith – und an den Rabbi und an die Männer, die Onkel Markus’ Sarg getragen hatten. Wo mochten sie alle jetzt sein?
    Raffi zog mich an sich, schmiegte sein Gesicht an meines, und dann weinten wir zusammen. Trotz der Wärme seines Körpers hörte ich nicht auf zu zittern. Aber dann zog er die Bettdecke nach oben und trocknete mir damit die Tränen. »Na komm«, sagte er. »Du wolltest nicht zulassen, dass ich aufgebe und Mama hinterherlaufe, erinnerst du dich? Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Das hätte Papa bestimmt auch gesagt, weißt du.«
    »Mein Papa auch«, sagte ich und erinnerte mich daran, wie er dem Rabbi von dem Ozean von Licht erzählt hatte. »Aber Papa ist eben gläubig. Wie lebt er wohl da drüben in Amerika seinen Glauben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Lager noch andere Quäker gibt.«
    »Onkel Dietrich schafft das schon«, meinte Raffi. Dann verstummte er.
    »Woran denkst du?«
    »Ich überlege gerade – du und Tante Sylvia, würdet ihr wohl morgen mit mir Sabbat feiern?«
    Natürlich taten wir das.
    Mama besorgte auf dem Schwarzmarkt eigens Kerzen, damit Raffi sie anzünden konnte. Er sprach einen Segen über die Kerzen und dann über uns. Zuvor hatte er uns erklärt, dass normalerweise die Eltern ihre Kinder segneten, aber er wollte Gott für Mama und mich danken. Dann betete er für Papa und Tante Edith und sprach das Kaddisch-Gebet für seinen Vater und Karl. Es tat gut, einmal Gelegenheit zu haben, in einer Zeremonie unsere Gefühle und Hoffnungen zum Ausdruck zu bringen – und zu weinen. Auch wenn ich gar nicht recht wusste, wie ich über Gott dachte.
    Anschließend segnete Raffi noch das Bier, das den Wein ersetzen musste, und das Brot – von unserem Bäcker, der gerade wieder Mehl ergattert hatte. Es hätte eigentlich Challa sein sollen, ein spezieller, reichhaltiger Hefezopf mit Eiern, aber uns schmeckte das Schwarzbrot vom Bäcker auch köstlich.
    Danach meinte Raffi: »Ich werde bestimmt nicht

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