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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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schnell wie möglich zog ich meine Geschwister hinter mir her. Es war ein schöner Sommerabend, und vor der Eisdiele hatte sich eine längere Schlange gebildet. Ich trat von einem Bein auf das andere. Als wir endlich an der Reihe waren, brauchte Mourad – wie immer – unendlich lange, bis er sich zwischen den einzelnen Geschmacksrichtungen entscheiden konnte. So war das jedes Mal mit ihm, und so ist es auch heute noch: Seit jenem ersten Abend im Supermarkt, als er weinend und völlig überfordert vor dem Regal mit Süßigkeiten stand, braucht er immer sehr lange, bis er weiß, was er wirklich will.
    Als wir das Eis endlich hatten, zerrte ich meine Geschwister so schnell wie möglich wieder nach Hause. Ich fand Banu auf meinem Bett, zusammengekrümmt in Embryonalhaltung und völlig verstört.
    »Was ist passiert, Banu?«, fragte ich entsetzt.
    Zuerst sagte sie gar nichts. Aber dann erzählte sie mir in stockenden Worten, dass mein Vater sie ins Bad gelockt habe.
    »Er hat gefragt, ob ich ihm ein Glas Raki ins Bad bringen kann«, sagte Banu, »und das hab ich gemacht. Da hat er mich festgehalten und so komische Sachen gefragt, ob ich ihn liebe und so … Ja, hab ich gesagt, schon, wie einen Bruder eben. Da hat er mich in die Ecke gedrängt, hat immerzu gesagt, dass er mich liebt, mich am Hals geküsst und angefasst …«
    Als Banu am nächsten Tag nach Hause gegangen war, wollte mein Vater herausfinden, ob sie mir etwas erzählt hatte.
    »Ich rede nicht mehr mit dir«, sagte ich in der Küche voller Abscheu zu ihm.
    »Aber warum denn nicht?«
    »Du weißt genau, warum.«
    Mit einem Blick auf Elke sagte mein Vater: »Wir beide haben ein kleines Geheimnis miteinander. Komm mal mit ins Bad.«
    Dort fragte ich ihn ganz direkt: »Was ist hier gestern passiert?«
    Und er spielte das Unschuldslamm: »Du kleine Schlampe! Was du nur immer für Gedanken hast.«
    Und wieder, wie bei der Sache mit dem Mann auf dem Mädchenklo, tat er so, als sei ich diejenige, die verdorben war. Er konnte so schnell die Rollen wechseln, dass einem ganz schwindelig wurde. Vom friedensbewegten guten Kumpel, der sich für die »Gute Sache« engagierte, verwandelte er sich in den südländisch-feurigen Charmeur und wurde von einem Augenblick zum anderen zum Widerling. Kaum waren die Frauen, mit denen er eben noch geflirtet hatte, zur Tür hinaus, konnte er Sachen sagen wie: »Die will doch auch nichts anderes, als mit mir vögeln. Wenn ich wollte, könnte ich die jederzeit flachlegen.« Als sich einmal die Frau eines Sonderschullehrers, der auch als Clown auftrat, von ihm vergewaltigt fühlte, unternahm sie nichts gegen meinen Vater, die Sache war ihr offenbar zu peinlich. Außerdem meinte sie: »Mein Mann, der verkraftet das nicht.«
    Für meinen Vater war die Sache klar: »Das wollte die Alte doch nur. Mit ihrem komischen Kerl zu Hause läuft doch schon lange nichts mehr.« Wie man es drehte und wendete, am Ende waren immer die anderen schuld.
    So war es auch bei einer Sache, die ich nie vergessen sollte: Eines Tages, ich war damals elf oder zwölf Jahre alt, brachte er mir von einer Reise in die Türkei ein Rosenparfüm mit. Wenn mein Vater vom Urlaub zurückkam, war er stets bester Laune, und wie ein fliegender Kaufmann packte er im Wohnzimmer seine Geschenke für uns aus. Das konnte er richtig gut, er hatte viel Sinn für Schönheit und Luxus und freute sich wie ein Kind an unserer Begeisterung. Das Rosenparfüm war in einem eleganten Flakon, und ich freute mich riesig darüber.
    Am nächsten Morgen nach dem Duschen sprühte ich davon an meinen Hals. Ich dachte mir nichts dabei, als ich die Treppe hinunter zum Frühstücken kam. Mein Vater hob schnuppernd den Kopf.
    »Du trägst Parfüm? Zur Schule?« An seinem scharfen Ton erkannte ich sofort, dass er nicht scherzte.
    Mein erstauntes: »Aber du hast es mir doch geschenkt«, hätte ich mir sparen können. Denn nun begann eine dieser nicht enden wollenden Torturen, mit denen mein Vater mich zu bestrafen pflegte. Er ging in die Küche und holte sich sein Arsenal, mit dem er mich die nächsten Stunden quälen sollte. Dieses Mal stellte er mir mathematische Aufgaben, und wenn ich die Antworten nicht wusste, wurde ich bestraft: »Wie viele Stunden hat ein Jahr?«, begann er.
    Ich hatte keine Ahnung, und so befahl mein Vater mir, meine Hände vor mir auf die Tischplatte zu legen. Dann schlug er mir mit dem Fleischklopfer auf die Finger. Und nicht nur einfach so zum Spaß, nein, er schlug richtig zu.

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