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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Morgen! Ein Wort von ihr, und ich hätte das Ding nie wieder angezogen. Nun aber wurde dieses T-Shirt für meinen Vater zum Anlass, mein gesamtes Leben umzukrempeln. Auf einmal gab es neue Regeln für mich, vor allem, was meine Kleiderordnung betraf. Ärmellose T-Shirts waren tabu, ebenso alles Schulterfreie. Und dann hatte mein Vater wieder einmal eine seiner grandiosen Ideen: »An Pfingsten gehst du zu Suheila halla«, bestimmte er. »Deine Tanten sollen dir beibringen, wie sich eine anständige muslimische Frau benimmt!«
    Ich mochte meine Tanten, auf Arabisch »halla«, gerne, doch mit zwölf Jahren konnte ich mir lustigere Pfingstferien vorstellen als muslimischen Benimmunterricht.
    Nach dem Tod meiner Oma hatten sie begonnen, Kopftücher zu tragen, was vorher nicht der Fall gewesen war, und zwar immer, auch bei sich zu Hause, was eigentlich nicht vorgeschrieben ist.
    Suleiha halla war meinem Vater schon immer sehr ähnlich gewesen, und sie galt als besonders klug. Später wurde sie eine der ersten Kindergärtnerinnen mit Kopftuch in Deutschland. Seit einiger Zeit pflegten sie und ihre Schwestern, die andauernd zusammensteckten, scherzhaft zu sagen, ich bekäme »kleine Pflaumenbusen«, und überhaupt redeten die Frauen aus der Familie meines Vaters in der Küche unbefangen über ihre eigenen oder fremden Brüste, machten deftige Andeutungen und stellten Vergleiche an. Für mich stand diese Offenheit in krassem Gegensatz zu dem Theater, das mein Vater zu diesen Themen veranstaltete.
    Das Pfingstwochenende bei Suheila halla, bei dem natürlich auch meine anderen Tanten zugegen waren, ließ ich geduldig über mich ergehen. Zum Glück wohnte eine meiner Freundinnen in derselben Straße, und so verbrachte ich bei schönem Frühlingswetter die meiste Zeit draußen mit Isa, statt mit den Tanten drinnen. Was mir diese dennoch mit auf den Weg zu geben versuchten, waren für mich ziemlich sinnlose Verhaltensregeln: Dass man als Frau weder mit gespreizten noch mit übergeschlagenen Beinen dasitzen durfte, zum Beispiel. Dass man die Beine nicht baumeln lassen sollte. Warum, das wurde mir nicht erklärt. Und wenn ich darüber nachdachte und selbst darauf kam, dass dies alles wohl irgendwie mit Sex in Verbindung stehen könnte, dann hieß es: »Meine Güte, hast du verdorbene Gedanken!«
    Suheila halla zeigte mir auch, wie man die rituellen Waschungen vollzieht, das traditionelle Wudhu . Zuerst wäscht man sich das Gesicht, dann die Hände bis hinauf zum Ellbogen. Danach benetzt man sich den Kopf. Und schließlich wäscht man die Füße bis zu den Knöcheln. All diese Handlungen vollzieht man dreimal hintereinander.
    Mir gefiel das gut; diese Waschung empfand ich wie eine Meditation, und sie in aller gebührenden Ruhe zu vollziehen, beruhigte mich. Doch da ich meinen Vater nie dabei sah, wie er sie selbst vollzog, machte auch ich sie nicht zu einer täglichen Routine. Schließlich duschte ich täglich.
    Ich glaube, meine Tante war selbst ein bisschen ratlos darüber, was sie mir, dem »verlorenen Kind«, das nach dem Willen meines Vaters ja nicht einmal ein Kopftuch tragen sollte, eigentlich beibringen sollte. Auch waren sie und ihre Schwestern selbst nicht besonders gläubig, niemanden im Haus meiner Großeltern sah ich je einen Gebetsteppich ausrollen oder die Gebete sprechen. Dennoch zeigten sie mir auch, wie man das macht. Danach besannen sich die Schwestern meines Vaters auf das, was sie am besten konnten: auf all die hausfraulichen Pflichten, die ohne Zweifel eines Tages auch auf mich zukommen würden. Für meine Tanten bestanden die Tugenden einer guten muslimischen Frau in ihrer Fähigkeit, zu kochen und ihrem Mann alle Wünsche von den Augen abzulesen, hinter ihm herzuräumen und ihn stets zu bedienen. Das war mir im Grunde nicht neu. Schon von klein auf hatte ich gelernt, türkischen Tee zu kochen, und servierte ihn von früh bis spät meinem Vater und seinen Gästen. Ähnlich war es mit bestimmten türkischen Snacks, die mein Vater erwartete, sobald er das Haus betrat: geschnittene Zwiebelringe, Tomaten, Paprika und anderes, fein aufgeschnittenes Gemüse mit türkischem Fladenbrot, Oliven, Schafskäse und Joghurt in kleinen Schälchen. Kaum hörten wir die Wohnungstür, stürzte ich auch schon in die Küche, um ihm dies frisch zuzubereiten. Auch das unaufgeforderte Leeren der Aschenbecher gehörte zu meinen Pflichten, sowie das Servieren der Teegläser, wenn Besuch da war. Ich war gut in diesen Dingen und

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