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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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einmal eine Affäre am Laufen. Und ich ging in Habachtstellung, weil sie ihm irgendwann wieder um die Ohren fliegen würde, im schlimmsten Fall uns allen.
    Eines Abends kam mein Vater völlig aufgelöst nach Hause. Er bat mich, Tee zu kochen, und da wusste ich, dass er ein Problem hatte und sich mir einmal mehr anvertrauen wollte.
    »Sag mal, Meral«, begann er und wirkte sehr besorgt, »weißt du, ob Leukämie ansteckend ist?«
    »Nein«, sagte ich, denn das hatte ich in der Schule schon gelernt. »Das ist eine Form von Krebs, Blutkrebs, und damit kann man sich nicht anstecken. Warum willst du das denn wissen?«
    »Ach weißt du«, begann er, und ich ahnte, dass er mir nun eine Version auftischte, an der nur ungefähr die Hälfte stimmte, »als ich bei dieser Frau mit dem taubstummen Sohn war, da wurde ich auf einmal so müde. Und legte mich auf ihr Sofa. Dann hat sie ganz lieb eine Decke über mich gebreitet, und aus Dankbarkeit habe ich ihr das Haar gestreichelt. Und stell dir vor: mein Armreif verfing sich darin – und auf einmal fällt das ganze Haar auf mich herunter! Das war eine Perücke, verstehst du! Und dann erzählt sie mir diese Geschichte, dass sie Leukämie hat und bei der Behandlung alle Haare verloren hat. Da hab ich einen Schreck gekriegt, wegen der Ansteckungsgefahr …«
    Ich musste mir ein Lachen verbeißen, denn ich wusste genau, dass die Situation bestimmt ganz anders gewesen war. Aber ich ließ mir nichts anmerken. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte ich, »Leukämie ist nicht ansteckend.«
    Wenn ich es mir recht überlege, waren eigentlich von Anfang an neben Elke andere Frauen im Hintergrund. Zuerst war da eine, an deren Name ich mich nicht erinnern kann, denn damals war ich noch sehr klein. Sie schenkte mir eine Nähmaschine, das ist alles, was ich noch weiß. Danach kam eine gewisse Ulrike, die Kindergärtnerin von Beruf war. Sie passte oft auf mich und meine Geschwister auf und war eigentlich immer da, wenn Elke weg war. Dass sie mehr war als unser Kindermädchen, begriff ich eines Tages, als sie mit uns – ohne Elke – am Ijsselmeer in Holland war. Denn dort fiel mir auf, dass mein Vater sie genauso behandelte, wie er mit Elke umging, zum Beispiel haute er ihr auf eine bestimmte, intime Art auf den Hintern. Ulrike war viele Jahre lang so etwas wie die Freundin des Hauses, verbrachte auch mit Elke viel Zeit und war einfach immer da. Bis eines Tages, als ich ungefähr zehn Jahre alt war, eine andere Frau auftauchte: Sandra, eine hübsche Frau mit schulterlangem blondem Haar. Es waren eigentlich immer winzige Szenen, in denen ich verstand, dass diese Frauen mehr waren als unser Kindermädchen oder eine gute Freundin von Elke.
    An jenem Sommerabend war Elke nicht da, und eigentlich sollte mein Vater auf uns aufpassen. Stattdessen war er weggegangen, und ich mit meinen zehn Jahren hatte wie eine kleine Mami meine jüngeren Geschwister ins Bett gebracht. Da kam auf einmal mein Vater mit dieser fremden Frau aus dem Sommerregen hereingelaufen, und die beiden lachten wie zwei Jungverliebte. Es war eine seltsame Situation, weil alles so verdreht war: Ich war ganz ernst und erwachsen, und mein Vater und diese fremde Frau benahmen sich wie zwei Frühlingskinder. Die Frau sagte zu mir: »Hallo, ich bin die Sandra. Dein Papa will mir seine Plattensammlung zeigen.« Und dann lachte sie wieder ganz albern.
    Da saßen sie also vor der Plattensammlung meines Vaters. Sandra nahm eine Platte nach der anderen in die Hand, drehte sie um und sagte: »Aha« und: »Soso« zu den Erklärungen meines Vaters. Ich nahm den beiden nicht ab, was sie mir da vorspielten, und blieb stur hinter ihnen stehen. Schließlich wurde Sandra verlegen. Mit so einem altklugen kleinen Mädchen, das sich nicht verscheuchen ließ, hatte sie wohl nicht gerechnet.
    So ging das ein paar Wochen, ohne dass Elke etwas merkte. Ulrike kam immer seltener. Bis sie eines Tages anrief.
    »Weißt du, wo dein Vater ist?«, fragte sie mich.
    »Klar«, sagte ich, »der ist bei Sandra.«
    Da fing sie an zu heulen und schluchzte: »Gib mir mal deine Mutter.«
    Zu ihr sagte sie: »Mach doch mal die Augen auf, Elke! Das kannst du doch nicht mit dir machen lassen!«
    »Ja, aber, was ist denn los?«, fragte Elke völlig ahnungslos. »Wieso soll sich Hamid denn nicht mit Sandra treffen? Du weißt doch, wie er ist.«
    Elke kapierte mal wieder gar nichts. Und ich erhielt mit zehn Jahren eine wichtige Lektion darüber, welche Vorstellungen

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