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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Es tat unfassbar weh.
    »Zähl von Zehntausend rückwärts!«
    Und so ging es weiter, Stunde um Stunde, und meine Hände fühlten sich an wie ein schmerzender Brei. Schließlich besann er sich auf alte Bestrafungsrituale, denen er selbst in der Türkei ausgesetzt gewesen war. Ich musste mich vor ihn hinstellen und die Hände waagerecht ausstrecken. Dann schlug er so lange mit einem Besenstiel auf sie ein, bis der hölzerne Stiel zerbrach.
    Danach war es vorbei. »Geh nach oben, duschen! Und dass ich ja von dem Parfüm nichts mehr rieche, wenn du fertig bist. Sonst weißt du ja, was dir blüht.«
    So wurde also alles weggeduscht, der Rosenduft, meine Tränen, mein Angstschweiß, das Blut. Elke erklärte mir, dass Frauen Parfüm auflegen, um Männer damit anzumachen. Dass das sozusagen eine sexuell vorbereitende Handlung sei und mein Vater deshalb so ausrastete.
    »Das hätte sie mir ja auch vorher erklären können«, dachte ich. Sie war ja schließlich dabei gewesen, als ich mein Geschenk auspackte. Ich hatte mir nichts dabei gedacht. Rosenduft verbinde ich seither mit Schmerzen. Und wen wundert es, dass in meiner Küche weder ein Fleischklopfer noch große Messer zu finden sind?
    Als ich fertig war, frisch angezogen und gekämmt, fuhr mich mein Vater, der wie ausgewechselt war, zur Schule. Ich kam natürlich viel zu spät, platzte mitten in den laufenden Physikunterricht hinein. Tat forsch, so wie immer, wenn ich verbergen wollte, was bei uns zu Hause los gewesen war. Die Lehrer ahnten nicht, was sich hinter meiner Wildheit und Aggressivität verbarg, aber auch hinter meiner unbändigen Freude, verrückte Dinge zu tun oder auch schöne, wie Theaterspielen und Musikmachen. Normalerweise erzählte ich auch meinen Mitschülern nichts von den Dingen, die bei uns geschahen. Dieses Mal aber waren meine Finger so geschwollen, dass ich meinen Stift nicht halten konnte.
    »Was ist denn mit deinen Händen«, fragte mich Joy, meine Sitznachbarin.
    Da brach ich in Tränen aus. Draußen vor der Klassenzimmertür offenbarte ich mich ihr.
    Es war nicht so, dass sich dadurch etwas geändert hätte, damals noch nicht. Das Entsetzen und das Mitleid meiner Mitschülerin halfen mir nicht weiter. Mir wurde klar, dass jemand, der selbst so etwas nie erleben musste, sich nicht in meine Situation hineinversetzen konnte. Und ich wollte nicht »die mit dem durchgeknallten Vater« sein, die regelmäßig verdroschen wurde und die man bedauerte. Das Schlimme an körperlicher Gewalt ist ja neben den Schmerzen und den Verletzungen diese abgrundtiefe Demütigung, die mit ihr einhergeht. Nur so ist zu verstehen, warum Frauen, die körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, so lange durchhalten und ihre Ehemänner decken, lieber lügen als sich als hilfloses Prügelopfer zu outen. So ging es auch mir damals: Ich wollte dazugehören wie alle anderen auch, und darum tat ich gut daran, so zu tun, als sei bei uns alles in Ordnung. Und immer wieder war es das ja auch. So kam es, dass ich meinen Freundinnen nicht widersprach, wenn sie mal wieder von meinem »coolen Vater« schwärmten.

8
Vom Mädchen zur Frau – ein Vater sieht rot
    A n dem Tag, als meine Kindheit endete, gab es mein Lieblingsgericht: grüne Bohnen mit Tomaten, Lammfleisch und Kartoffeln. Ich teilte das Essen aus. Es war ein warmer Frühlingstag, und ich trug ein lachsfarbenes, ärmelloses T-Shirt mit einem kleinen Kragen, das unter den Achseln ein bisschen ausgeschnitten war. Wir hatten noch nicht einmal mit dem Essen begonnen, als mein Vater abrupt aufstand und Elke bedeutete, mit ihm hinauszugehen. Ich hörte die beiden draußen miteinander reden und ahnte bereits Schlimmes. Nach kurzer Zeit kam Elke wieder herein.
    »Dein Vater will«, erklärte sie, »dass du dieses aufreizende T-Shirt sofort ausziehst und nie wieder trägst. Man kann ja alles sehen, so von der Seite …«
    Peinliches Schweigen. Mourad warf meinem T-Shirt einen kurzen, entsetzten Blick zu, dann starrte er auf seinen Teller. Auch die fünfjährige Meli sah neugierig auf meine kleinen Brüste und versuchte offenbar herauszufinden, was so schlimm an meinem T-Shirt war. Mir wurde ganz heiß, so sehr schämte ich mich bei dem Gedanken, dass mir mein Vater unter das Hemd geschaut hatte und dass man vielleicht tatsächlich etwas Verbotenes sehen konnte. Rasch ging ich hoch in mein Zimmer und zog ein anderes Oberteil an.
    Warum hatte mich Elke nicht schon vorher darauf hingewiesen? Ich trug das T-Shirt doch schon den ganzen

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