Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
sagte ich mit rauer Stimme. »Darum war ich nicht in der Schule.«
»Du wirst hier also nicht festgehalten?«, fuhr die Frau fort.
Elke sah mich mit entsetzt aufgerissenen Augen an. Sag nur nichts Falsches , schien sie mir übermitteln zu wollen.
»Du kannst ganz offen mit uns reden«, sagte die zweite Frau, die bisher geschwiegen hatte, »Frau Al-Mer, wenn Sie möchten, können Sie jetzt ein paar Sachen zusammenpacken und mit uns kommen. Wir könnten Sie alle im Frauenhaus unterbringen, wir haben gehört, dass Herr Al-Mer mitunter gewalttätig sein soll. Wir wollen Ihnen helfen.«
Sie sah von mir zu Elke.
»Ach«, sagte Elke und lachte nervös, »das ist wirklich nett von Ihnen. Aber das ist nicht nötig. Wir kommen schon zurecht.«
»Und du, Meral?«
Alle Augen ruhten auf mir.
»Na ja«, sagte ich schließlich, »mein Vater ist manchmal … sehr streng. Wir hatten … viel Streit in … in letzter Zeit. Aber ich denke, wir sollten noch ein paar Tage abwarten, was meinst du, Mama? Vielleicht renkt sich das wieder ein.«
Elke nickte wie wild.
»Das renkt sich ganz bestimmt wieder ein.«
Die beiden Frauen musterten uns forschend.
»Und diese Wunde am Bein«, fragte die eine, »wie hast du dir die zugezogen?«
»Ich bin gestolpert«, sagte ich rasch, »auf der Terrasse, über die Blechgießkanne. Und die Kante … hat mir ins Fleisch geschnitten.«
Das war gelogen. In Wirklichkeit hatte mein Vater, nachdem er mich zusammengeschlagen hatte, alles Mögliche auf mich draufgeworfen, was er nur finden konnte, unter anderem eine fette Stereoanlage und diese schwere Gießkanne, die er auf mein Bein krachen ließ. So war die Verletzung entstanden. Doch ich hatte mich entschieden, den Frauen lieber nicht die Wahrheit zu sagen.
»Also gut«, sagte die andere Frau, stellte ihr leeres Teeglas auf den Couchtisch und erhob sich.
Und ich musste an all die Kerben in diesem Tisch denken, die unter diesen hübschen türkischen Deckchen verborgen waren, Spuren der Exzesse meines Vaters mit dem großen, schwarzen Küchenmesser, das er so gerne benutzte, um uns Angst zu machen und alles Mögliche anzudrohen.
An der Haustür drückten die Frauen Elke eine Visitenkarte in die Hand. »Falls Sie es sich anders überlegen.« Und dann waren sie fort.
»Hat er wirklich gesagt, ich darf morgen wieder zur Schule?«
Elke nickte. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Meinte mein Vater das ernst? Oder war das nur Show gewesen vor den Frauen vom Jugendamt?
Zum Abendessen kam mein Vater wieder nach Hause. Elke hatte mich nicht wieder ins Zimmer gesperrt, und ich wartete besorgt auf seine Reaktion. Doch er war bester Laune.
»Na«, wollte er wissen, »war’s noch nett mit den Damen vom Jugendamt?«
»Ach«, sagte Elke, »die sind bald wieder gegangen.«
Mein Vater sah zufrieden von ihr zu mir und nickte. Er hatte uns im Griff, auch in seiner Abwesenheit konnte er sich auf uns verlassen. Zumindest auf Elke. Aber auch ich hatte dieses Mal in seinen Augen nicht versagt.
»Heute Abend«, verkündete er, »gehen wir aus. Wir gehen ins Café Belli! Und du, Meral, kommst mit!«
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ins Café Belli gingen unsere Eltern sonst immer allein, dort hatten sie schon mal neue Freunde kennengelernt. Und jetzt sollte ich mit meinen vierzehn Jahren mitkommen?
»Aber morgen«, fragte ich zaghaft, »gehe ich da wirklich wieder zur Schule?«
»Natürlich«, strahlte mein Vater. »Du hast doch gehört, was ich gesagt habe. Warum sollst du morgen nicht zur Schule gehen?«
14
»… dann bin ich es!«
M ein Vater hatte gute Laune. Er lockerte meinen Arrest, erklärte, dass ich mich im Haus wieder frei bewegen dürfe, doch noch immer sei mir verboten, es ohne seine Erlaubnis zu verlassen. Ich sollte allerdings nicht glauben, dass die »Sache mit meiner Abschiebung« vergessen sei, er habe nur noch nicht den passenden Ehemann für mich gefunden. Inzwischen aber dürfe ich wieder zur Schule gehen, wenn ich ihm ansonsten gehorchte. Wenn nicht, würde ich wieder eingesperrt.
Aber an diesem Abend wollte er mit Elke und mir ausgehen. Es war schon spät, als wir aufbrachen, und eigentlich wäre ich lieber ins Bett gegangen, damit ich am anderen Morgen ausgeschlafen in die Schule gehen konnte. Aber eine Widerrede kam natürlich nicht in Frage.
Mein Vater legte Wert darauf, dass ich etwas Schönes anzog, und so präsentierte er mich stolz seinen Freunden: seine älteste Tochter. Ich trank eine heiße Schokolade mit
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