Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
auch bei meinem Onkel Momo. Während wir fernsahen, merkte ich auf einmal, wie seine Hand vom Bauch ganz langsam immer weiter nach oben glitt, bis sie schließlich auf meinen gerade sprießenden Brüsten ankam. Ich schob die Hand mit dem Arm wieder nach unten, auf den Bauch, wo sie meiner Meinung nach hingehörte. Nun aber wanderte die Onkelhand ganz langsam nach unten in meinen Schlüpfer. Wieder korrigierte ich das, bis sich ein stummer Ringkampf entwickelte. Irgendwann wurde es mir zu blöd. Ich rutschte von Onkel Momos Schoß, ging in die Küche und erzählte seiner damaligen Freundin Tina von der wandernden Hand.
»Ach was«, wehrte sie ungläubig ab, »das bildest du dir nur ein.«
An diesem Abend tauchte er also mit seiner aktuellen Freundin Melanie auf. Ich hatte den Eindruck, dass mein Vater alle anderen aus unserer Familie auf das vorbereiten wollte, was er mit mir vorhatte. Ja, er wollte all diese Menschen, die ja ihr eigenes Leben führten, zu Zeugen dafür machen, dass ich ihn in den Wahnsinn trieb und er keine andere Wahl hatte, als mich entweder umzubringen oder in der Türkei zu verheiraten.
Also erzählte er Onkel Momo und seiner überraschten Freundin, was ich wieder einmal angerichtet hätte, und verlangte von seinem Bruder, dass er mich bespucken und zusammenschlagen sollte. Das alles hörte ich dort unten in meinem Verlies und wartete nun darauf, dass Momo zu mir kam, um das auszuführen.
Schließlich hörte ich die schweren Schritte die Treppe herunterpoltern. Ich hielt den Atem an und machte mich auf eine neue Prügelattacke gefasst. Onkel Momo kam herein und trat mehrmals kräftig gegen die Tür. Ich starrte ihn entsetzt an. Dann klatschte er ganz oft in die Hände, und ich verstand: Er tat nur so, als ob er mich verprügeln würde. Dabei trat er mir aber tatsächlich – aus Versehen? – mit seinen schweren Cowboystiefeln auf die nackten Füße. Dann bespuckte er mich noch, damit mein Vater auch etwas zu sehen bekam, als ich schließlich reumütig mit ihm zusammen nach oben gehen musste.
»Ich sehe nur zwei Möglichkeiten«, sagte mein Vater zu seinem Bruder und dessen Freundin, die beide so angezogen waren, als würden sie eigentlich ausgehen wollen. »Entweder ich bringe das Luder um oder sie heiratet. Es sei denn, sie ändert sich.«
»Was soll ich denn ändern?«, fragte ich mich verzweifelt.
»Du hast recht«, sagte Onkel Momo zu meinem Vater. »Meral kann froh sein, dass sie überhaupt noch lebt!«
Ich sah ihn entsetzt an. Wie konnte er so etwas sagen! Mein Blick begegnete auch dem dieser fremden Frau namens Melanie, die Zeugin meiner Demütigung wurde. Auch in ihren Augen las ich nichts als Enttäuschung und Missbilligung. Dann wandte sie sich ab, um mit meinem Onkel auszugehen.
»Los«, herrschte mich mein Vater an, »zurück mit dir in den Keller!«
Wieder wurde ich eingeschlossen. Ich hatte ja kein Waschbecken in meinem Zimmer und suchte irgendetwas, womit ich mich abwischen konnte, und rieb mir meine kalten, schmerzenden Füße.
Die Tage in meiner Gefangenschaft verflossen zäh. Ich hatte meinen Plattenspieler und hörte Musik. Dabei schrieb ich Tagebuch und betete viel. Stundenlang stellte ich mir vor, wie mein Leben aussehen könnte ohne diese Gewalt, ohne diesen ständigen Druck – ohne meinen Vater. In meinen Tagträumen sah ich mich aus Türen gehen, ohne »Tschüs« zu sagen …
Eines Tages nahm mir mein Vater den Pass weg.
»Den brauche ich, damit ich das Ticket für dich kaufen kann.«
Dass ich seine Gefangene sei und in der Türkei verheiratet würde, das erzählte er auch Pa, Elkes Vater. Denn vor Manfred hatte mein Vater Respekt.
»Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll«, jammerte Hamid. »Bürgst du für Meral, Manfred?«
»Ja«, sagte der, »ich bürge für sie. Lass sie auf ein verlängertes Wochenende zu uns kommen.«
Und tatsächlich erlaubte mein Vater das, unter der Bedingung, dass er mich wieder zurückbringen würde. Mein Großvater versprach es.
Manfred kam und half mir, meine Sachen zusammenzupacken. An seinem Arm humpelte ich aus meinem stickigen Zimmer. Dieser »Haft-Urlaub« wurde zu einer Art Sanatoriums-Wochenende, in dem sich Ella und Manfred alle Mühe gaben, mich körperlich und seelisch wieder aufzubauen, so gut es ging. Ich durfte baden, bekam frische Kleider. Sie nahmen mich mit in ein Thermalbad, verbanden mein Bein. Und dann lieferten sie mich wieder zu Hause ab. Was hätten sie denn auch anderes tun können? Mich
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