Nicht ohne meine Schokolade
zu reden.
»Dreiundzwanzig Jahre«, antwortete Beverly ausdruckslos. »Wir haben sehr jung geheiratet. Die ersten beiden Jahre waren gut .«
»Und die restlichen ?« fragte Savannah mit sanftem Druck.
»Die restlichen waren annehmbar .«
Savannah war solche Offenheit nicht gewohnt und warf Beverly einen schnellen Seitenblick zu, den diese auffing. Die Frau hielt abrupt inmitten des Korridors an und holte tief Luft.
»Detective Reid«, sagte sie, »ich werde Ihre Intelligenz nicht dadurch beleidigen, indem ich Sie anlüge. Im Zuge Ihrer Ermittlungen werden Sie herausfinden, daß man meine Ehe als... schwierig bezeichnen kann, bestenfalls .«
Savannah erwiderte ihren festen Blick. »Ich danke Ihnen, Beverly. Etwas Ehrlichkeit trägt meistens sehr zur Wahrheitsfindung bei .«
»Die Wahrheit ist... wenn der Leichnam dort Jonathan ist, bin ich nicht überrascht. Ich habe so etwas erwartet. Mein Mann hat seit Jahren schon einen selbstzerstörerischen Weg eingeschlagen. Es war lediglich eine Frage der Zeit .«
»Sie scheinen ziemlich sicher zu sein, daß er es ist .«
Sie zuckte die Achseln, und ihr Gesichtsausdruck wurde noch verbitterter.
»Nennen Sie es Vorahnung«, sagte sie.
Eine Tür zu ihrer Linken öffnete sich, und eine attraktive, zierliche Asiatin betrat den Flur. Sie trug einen weißen Kittel, und ihr sanftes Lächeln schien eine überirdische Heiterkeit auszustrahlen.
Savannah nickte ihr zu. »Dr. Liu, das ist Stadträtin Beverly Winston«, sagte sie. »Sie ist hier, weil sie vielleicht das Mordopfer von heute morgen identifizieren kann .«
»Ja, natürlich. Er ist dort im Untersuchungsraum«, sagte sie und deutete auf eine Doppeltür weiter hinten. »Bitte lassen Sie mir einen Augenblick Zeit, dann können Sie ein treten .«
Savannah wußte, daß die Gerichtsmedizinerin die Leiche abdecken würde, damit die Identifizierung für die beteiligten Parteien mit dem geringstmöglichen emotionalen Trauma vonstatten ging. Ein Blick auf Beverly sagte ihr, daß auch sie den Zweck dieser Verzögerung verstanden hatte.
Von der gewandten Politikerin, die ihr vor einer halben Stunde die Hand geschüttelt hatte, war jetzt nichts mehr zu sehen. Sie sah erschöpft aus, blaß und gepeinigt, die Aura, die sie in jahrelanger Übung erworben hatte, umgab sie nicht mehr. Beverly Winston schien in den vergangenen dreißig Minuten um zehn Jahre gealtert zu sein. Einen Augenblick lang schloß die Frau ihre Augen und massierte ihre Schläfen mit den Fingerspitzen. Savannah konnte nur raten, wie stark ihr Kopf schmerzte.
Erneut wurde die Stille zwischen ihnen mit jeder Sekunde bedrückender. Gott sei Dank erschien Dr. Liu wieder an der Tür. »Danke für Ihre Geduld«, sagte sie. »Sie können jetzt eintreten .«
Sie hielt die Tür zum Untersuchungsraum auf, und Savannah schob Beverly hinein.
Wenn das Leichenschauhaus Savannahs bestgehaßter Ort war, so war dieser Raum für sie das verhaßteste Zimmer auf der ganzen Welt. In diesen glitzernden weißen Wänden, die mit Grays Anatomiekarten geschmückt waren, hatte sie mehr als einen Anblick erlebt, der sie vor ihrer Zeit hatte altern lassen. Als sie das erste Mal ein verstümmeltes Kind auf dem Tisch aus rostfreiem Stahl in der Mitte dieses Raumes hatte liegen sehen, hatte sie sich wie eine etwa Dreißigjährige gefühlt, die langsam auf die Achtzig zuging.
Dr. Liu hatte den Leichnam sorgfältig mit einem weißen Tuch bedeckt. Sie war nun zurückgetreten und gestattete Savannah schweigend, heranzutreten.
Als Savannah sich Beverly zuwandte, sah sie, wie die Kälte, die beinahe gleichgültige Haltung, die sie zuvor an ihr beobachtet hatte, verschwand. Die Augen der Frau hefteten sich auf das weiße Tuch, ihr Gesicht hatte fast die gleiche Farbe angenommen.
»Es wird nicht lange dauern, Beverly«, sagte sie. »Ich würde sie einfach nur bitten, einen Blick auf... seine linke Hand zu werfen, um ihn eventuell für uns zu identifizieren .«
»Seine Hand?« Beverly sah sie an, und Savannah bemerkte, wie sich in ihren Augen das gleiche nackte Entsetzen widerspiegelte, das sie in diesem Raum immer beobachten konnte. »Warum seine Hand? Ich will sein Gesicht sehen .«
Savannah betrachtete sie einen Augenblick lang aufmerksam. Sie spürte eine Welle der Sympathie, die sie stärker erschöpfte als eine zehnminütige Verfolgungsjagd im Dauerlauf. »Nein, das nicht«, sagte sie leise. »Wirklich... die Hand ist ausreichend .«
Beverly schüttelte den Kopf. »Aber ich will.
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