Nicht ohne meinen Mops
Monaten, als ich zum letzten Mal hier war. Und wenn ich mich nicht irre, sind auch die grauen Gestalten, die sich im Internet nach Stellen umschauen, noch dieselben.
Da ich das Prozedere von meiner Suche nach einer Stelle als Arzthelfein anno Zwieback noch kenne, halte ich mich gar nicht lange mit der Trockenpflaume auf. Ich schnappe mir aus dem Ständer das Anmeldeformular, ziehe eine Nummer und hocke mich zu den knapp 40 anderen, die wie ich darauf warten, einen Arbeitsberater zu sprechen. Ich bin Nummer 187. Die Anzeigentafel verkündet, dass Nummer 125 aufstehen und sich in die Höhle des Löwen begeben darf.
Auch das Formular hat sich nicht geändert. Ich fülle es aus (dafür brauche ich etwa viereinhalb Minuten) und starre in die Luft. Bei Nummer 136 muss ich Pipi. Als ich wiederkomme, ist Nummer 138 dran. Also ziehe ich einen Kaffee aus dem Automaten. Bis 143 habe ich die labbrige Brühe geschlürft. Von 144 bis 176 beobachte ich eine Mutter beim Stillen, Wickeln und Beruhigen eines knatschrosa Bündels. Das unverwechselbare Pampers-Odeur wabert durch den Wartesaal. 177. Noch mal aufs Klo. 179: In meiner Handtasche finde ich einen halben Müsliriegel. Nicht viel, aber eine erste Hilfe gegen das Knurren in meinem Magen. Mittlerweile ist es fast 15 Uhr und ich überlege, ob das Warten noch Sinn macht. Schätzungsweise in einer halben Stunde beginnen die Beamten in ganz Deutschland, die Schreibtische aufzuräumen, die Büroklammern zu sortieren und die Palmen auf dem Fensterbrett zu gießen. Schließlich sollte um 16 Uhr Feierabend sein.
182. Ein Türke mit gebeugtem Rücken. 183. Ein Knabe, der beinahe in seiner eigenen Hose zu ertrinken scheint (das, was an den Po gehört, sitzt deutlich auf Kniehöhe). 184. Eine ondulierte Wasserstoffblondine, die seit drei Stunden auf ihrem Handy herumgetippt hat. 185. Niemand. Schon gegangen. 186 ist eine 150-Kilo-Frau, wovon gut 50 Kilo allein auf den aufgebockten Busen entfallen. 187. Ich.
Um 15.52 Uhr betrete ich das Zimmer, über dem die 187 blinkt. Es ist die siebte Tür, beinahe am Ende des Ganges. Von meinem Berater bekomme ich zunächst die Rückansicht zu sehen. Sein Flachpo steckt in einer abgewetzten Jeans, trotz des sommerlichen Wetters trägt er über dem Hemd eine wohl von der Gattin selbst gestrickte Weste. Er steht am Fenster, die kleine grüne Plastikgießkanne in der Hand, und tröpfelt Wasser in den Topf eines kleinen Alpenveilchens mit weißen Blüten. Vom Türschild her weiß ich, dass er Lehr heißt. Herr Dirk Lehr. Ob er mit seinem Veilchen spricht?
»Nehmen sie Platz«, schnurrt Dirk. Ich platze mich auf den abgewetzten Stuhl, der vom Vorgänger noch warm ist. Dirk pult ein Blättchen aus dem Veilchen und setzt sich dann an den Schreibtisch. Jetzt schaut er mich zum ersten Mal an.
»Guten Tag, Frau …?«
»Böhm. Tanja Böhm.«
»Sind Sie bereits Kunde bei uns?«
Wie bitte? Bin ich bei Neckermann?
»Äh?«
»Waren Sie schon einmal hier? Sind Sie bereits in der Kartei eingetragen?« Dirk klingt leicht genervt und schaut mich mit stierem Blick an.
»Äh, ja, doch, bin ich.«
»Haben Sie eine Kundennummer?«
»Bitte?«
Herr Lehr seufzt. Mithilfe meines Geburtsdatums gelingt es ihm schließlich, den Vorgang ›Böhme, Tanja‹ in seinem Computer zu finden. Na bitte.
»Sie sind also Arzthelferin«, sagt er. Ach was! Schlaues Kerlchen. »Und Sie suchen eine neue Stelle?« Ui. Blitzmerker.
Ich schildere ihm meine Lage, wobei ich auf Stenografiestil achte. Die Uhr hinter Dirks Rücken zeigt 16.02 Uhr an. Sorge dafür, dass ein Beamter Überstunden machen muss und du kannst dich gleich selbst einsalzen.
Mein Arbeitsberater überfliegt das Formular, das ich vor Stunden im Warteraum ausgefüllt habe. Dann knallt er einen Stempel auf das gelbliche Papier und legt es auf den Stapel neben dem Computer. Dort harren ungefähr 150 solcher Formulare darauf, dass Dirk sie datentechnisch erfasst. Dann starrt Herr Lehr auf den Bildschirm, klickt wild mit der Maus und schüttelt den Kopf.
»Tut mir leid, so auf die Schnelle kann ich Ihnen kein Angebot in Ihrem Beruf machen. Aber Sie haben ja Erfahrung im Verkauf, wie ich sehe.« Wieder klickt er, dann rattert der Drucker auf dem Schränkchen unter dem Fensterbrett. Das Veilchen wiegt sich sacht im lauen Lüftchen, das durch das gekippte Fenster streicht.
Herr Lehr rollt mit seinem Stuhl zum Drucker, fischt die Blätter heraus, rollt zurück und streckt sie mir entgegen. »Das sind einige offene
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