Nicht ohne meinen Mops
lasse ich mich auf meinen angestammten Platz sinken. Kaum hat mein Hintern das Stuhlkissen berührt, schießen oben die Tränen aus den Kanälen. Zwischen Brokkoli mit Mandelstiften, perfekt durchgebratenem Steak und Pommes (fettarm, weil aus dem Ofen), das ganze garniert mit Kräuterbutter (damit es nicht zu fettarm bleibt) schildere ich den Jungs meine Misere. Ich brauche anderthalb Packungen Tempos. Chris und Rolf hören schweigend zu. Earl schnarcht unter dem Tisch. Als ich an der Stelle »… und die Miete kann ich so auch nicht zahlen« angekommen bin, steht Chris auf. Zieht mich vom Stuhl und nimmt mich in den Arm.
»Ach, das machen wir schon irgendwie«, flüstert er mir ins Ohr.
»Tanja, das machen wir schon irgendwie«, sagt auch Rolf und klopft mir auf die Schulter. »Aber heute nicht. Heute brauchen wir das Tanja-heult-sich-aus-Programm.« Sagt’s und bugsiert mich zum Sofa. Earl folgt uns gähnend. Der Mops streckt sich, stupst mich mit der platten Nase an und rollt sich dann auf seinem Kissen zusammen. Chris kommt mit einem ganzen Stapel DVDs aus Rolfs unerschöpflichem Fundus. Ich sitze zwischen den Jungs auf dem Sofa, vor uns Schalen mit Chips, Erdnüssen, Flips und anderen ungesunden Sachen nebst Rotwein, Cola und einer Familienpackung Fürst-Pückler-Eis. Der Reihe nach arbeiten wir uns bis morgens um halb fünf durch ›Love Story‹, ›Jenseits von Afrika‹ (Rolf schläft in der Mitte des Films ein) und ›Schtonk‹ (gucken wir nur halb), ›Wie im Himmel‹ (Chris und ich heulen wie die Schlosshunde, was Earl aus dem Hundetraum hochschrecken lässt), ›Magnolien aus Stahl‹ und ›Bridget Jones‹. Irgendwo zwischen Götz George und Julia Roberts döse ich weg, aber Chris herzzerreißendes Heulen, als die arme Diabetikerin das Zeitliche segnet, holt mich auf den Boden der Hollywood-Tatsachen zurück.
Während Rolf sich leise duscht und aus dem Haus schleicht, kuscheln Chris und ich uns zu zweit unter die Fleecedecke und schlafen bis halb elf. Er hat heute frei (Überstunden abfeiern) und ich habe Zeit. Unendlich viel Zeit. Zu viel Zeit.
»Jetzt nehmen wir uns erst mal Zeit für ein gemütliches Frühstück«, meint Chris. Gemeinsam mit Earl geht er zum Bäcker. Der Mops kommt mit leerer Blase wieder, mein lieber Mitbewohner mit einer vollen Croissanttüte. Während Earl sich über die Reste der Chips und Flips im Wohnzimmer hermacht, schlürfen Chris und ich starken Kaffee und knabbern die Croissants. Eigentlich sollte ich den Tag genießen. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm und wäre perfekt, um sich mit einem guten Buch in den Park beim Landtag zu begeben. So früh am Tag sind die besten Plätze sicher noch nicht alle besetzt. Ich könnte Earl mitnehmen. Wir könnten uns ein Eis kaufen, wenn der kleine Italiener mit seinem Wagen vorbeikommt. Wir könnten den Müttern zuschauen, die ihren Kindern zuschauen, die sich gegenseitig beim Umfallen und Knie Aufschürfen zuschauen.
»Ich sollte zusehen, dass ich zum Arbeitsamt gehe«, sage ich, als das kleine Männchen namens ›Vernunft‹ nach der dritten Tasse Kaffee wach wird.
»Agentur für Arbeit heißt das heutzutage«, korrigiert mich Chris und verdreht die Augen. »Aber mach dir keine Hoffnung …«
»… ich weiß. Außer ein paar Formularen wird nicht viel dabei rumkommen. Trotzdem … vielleicht kann ich wenigstens ein bisschen Geld rausleiern, von irgendwas muss ich ja leben und die Miete zahlen.«
Nach einer heißen Dusche, noch einem Croissant, einem Glas O-Saft und einer aufmunternden Umärmelung von Chris, der sich mit Earl auf den Weg in den Park macht, bin ich gerüstet für meinen Gang zur wahrscheinlich florierendsten Behörde Deutschlands. Das Arbeitsamt ist in einem nagelneuen und pervers teuren Bau untergebracht. Als ich vor der Betonfassade stehe, fasse ich den Beschluss, den Architekten dieses Monsterbaus, sollte ich ihn erwischen, zu erschlagen. Hätte es eine Nummer kleiner nicht auch getan? Verdient hätte er es. Die Foltermethoden überdenke ich bei einer Zigarette, die ich unter dem Vordach im Kreise von sieben Männern rauche. Keiner spricht auch nur ein Wort, jeder ist bemüht, nur ja nicht den Blick des anderen zu kreuzen. Der Aschenbecher, der neben dem Eingang steht, quillt über.
Drinnen ist das Gebäude auch nicht besser. Ich hatte das verdrängt – aber seit meinem letzten Besuch hat sich nichts getan. Hinter dem Tresen sitzt noch immer dieselbe vertrocknete Mittfünfzigerin wie vor einigen
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