Nicht ohne meinen Mops
Stellen, die infrage kommen könnten«, sagt er. Und dann schnurrt er das herunter, was er Tag für Tag geschätzt 786 Mal sagt: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie verpflichtet sind, sich bei den ausgeschriebenen Stellen zu bewerben. Diese Bewerbungen haben Sie zu dokumentieren. Parallel dazu erwartet die Arge, dass Sie sich initiativ bewerben. Die Kosten für die Unterlagen, wie Kopien und Briefumschläge, kann das Amt Ihnen gegen Vorlage entsprechender Quittungen erstatten. Sollten Sie diesen Pflichten nicht nachkommen, so werden Ihnen Bezüge gekürzt oder ganz gestrichen.«
Ich nicke so stark, dass ich beinahe Nackenschmerzen bekomme. »Klar, natürlich, verstanden.«
Herr Lehr kritzelt etwas auf einen Zettel, den er mir reicht. »In vier Wochen kommen Sie bitte wieder, und halten Sie den Termin pünktlich ein«, sagt er und zeigt zum ersten Mal so etwas wie ein Lächeln. »Eine Nummer müssen Sie dann nicht ziehen, Sie können direkt kommen.« Bingo.
Um 16.06 Uhr stehe ich auf dem Gang, einen Stapel Papiere in der Hand und dazu die Auskunft, dass ich in den nächsten Tagen Post bekommen werde, was die Höhe meiner ›finanziellen Ansprüche‹ angeht. Wie nett von Dirk, dass er nicht Hartz IV gesagt hat. Ich falte die Ausdrucke zusammen und stopfe sie in meine Tasche. Raus hier. Bloß raus!
Vor dem Eingang steht immer noch ein ganzer Pulk Menschen. Alle rauchen. Warum kaufen die ihre Kippen nicht bei Fritz? Ich hätte gute Lust, ihnen die dünnen Selbstgedrehten aus dem Mund zu reißen. Solche Typen sind schuld daran, dass ich meinen Job verloren habe! Die und die ganzen Frischlufttanten. Letzten Sommer hatte ich solche Exemplare im Biergarten kennengelernt. Marc, der Arsch, und ich saßen zweisam allein an einer langen Bank, schwiegen uns an und mampften jeder ein halbes Hähnchen. Vier Grazien hochmittelalterlichen Alters stürmten den Biergarten und setzten sich an unsere Bank. Die schnatternden Gänse bestellten Mineralwasser und Salat mit Putenbruststreifen. Nachdem ich mein Hähnchen zerlegt und die Knorpel von den Knochen genagt und darauf gewartet hatte, dass die Nebensitzerinnen allesamt ihr Grünzeug gefuttert hatten, zündete ich mir eine Marlboro an.
Lady Nummer eins hüstelte gekünstelt. Lady Nummer zwo verzog das Gesicht. Nummer drei wandte sich pikiert ab. Und Nummer vier, die Dickste von allen, ließ den mächtigen Busen beben: »So eine Sauerei, müssen Sie uns hier vollstinken? Ich hab keine Lust, wegen Ihnen an Lungenkrebs zu sterben.« Hallo? Wir saßen im Freien! An der frischen Luft! Und der Rauch zog – oh Wunder! – nicht mal in die Richtung der Mädels. Marc schwieg und kramte nach seinem Geldbeutel. Ich schwieg und kochte innerlich.
In ähnlicher Stimmung bin ich auch jetzt. Die Sonne scheint zwar immer noch, aber mir ist regnerisch im Gemüt. Kurz vor Sturm. Die steife Brise spüre ich schon. Langsam trotte ich die Straße entlang. In einer kleinen Eisbude mache ich Halt, lasse mir eine Waffel mit vier Kugeln Nutellaeis füllen und fühle mich gleich ein bisschen besser. Dass die Waffel nicht dicht hält und ich mein Shirt versaue, ist mir egal. Schokolade und Sahne – welche Seelentröster! Bis ich zu Hause ankomme, hat sich meine Stimmung so weit gebessert, dass ich mich in der Lage sehe, die Ausdrucke von Herrn Lehr wenigstens mal anzuschauen. Ist ja irgendwie Bürgerpflicht.
Aus den Zimmern der Jungs plärrt Musik in den Flur, wo der schnarchende Earl sich auf seinem Kissen zusammengerollt hat. Dieser Mops wäre der wahrscheinlich mieseste Wachhund aller Zeiten – nicht einmal mein Eintreten in die Wohnung entlockt ihm ein müdes Bellen. Ich knalle meine Tasche auf die Couch, schüttele die Schuhe von den Füßen, spüre den Druck meiner Blase, mache die Klotüre auf – und schreie wie am Spieß. Sofort fliegen die Türen meiner Mitbewohner auf und zwei sehr besorgte Männer rennen in den Flur. Selbst Earl schält sich von seinem Kissen und kläfft.
»Was ist passiert?«, ruft Rolf.
Ich kann nicht sprechen. Mit zitterndem Arm zeige ich in das Klo. Also in mein Badezimmer. Oder das, was einmal mein Bad war.
»Da … dada … das…«, presse ich schließlich hervor. Ich stehe vor einer Wolke aus weißem Taftstoff. An den Wänden ist Stoff, an der Decke, um den Spiegel herum. Und überall hängen Rosen. Rote Stoffblüten und hellbeige, weiße und rosafarbene. Große und kleine. Künstlicher Efeu umrankt den Spiegel und das Fenster. Eine Vase mit – ich
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