Nicht ohne Risiko (German Edition)
Nicht einmal an jenem wunderbaren, beglückenden, erschreckenden Wochenende, das sie gemeinsam verbracht hatten. Jenem Wochenende, an dem er komplett die Beherrschung verloren und mit ihr geschlafen hatte. Er hatte es ihr nie gesagt, nie in Worten ausgedrückt, was er für sie empfand.
Er konnte es nicht. Denn wenn sie es gewusst hätte, hätte sie ihn niemals kampflos ziehen lassen. Dann hätte sie gewusst, dass Angst und Schmerz der Grund waren für all die Grausamkeiten, die er ihr an den Kopf geworfen hatte.
Jim schaltete den Computer aus und ging nach oben, um zusammenzupacken, was er in den nächsten zwei Wochen brauchte.
Zwei Wochen, die er mit der einen Frau verbringen würde, die allen Grund hatte, ihn zu hassen.
Wie hatte Lieutenant Bell diese Ermittlungen noch genannt? Schnell und leicht? Klar doch. Für ihn würden sie so schnell und leicht werden wie eine Weltumrundung im Kanu – ohne Paddel.
Als Emily aufwachte, war sie schweißgebadet, und die untergehende Sonne schien ihr direkt ins Gesicht. Sie erhob sich von ihrem Liegestuhl, schob die verglaste Balkontür auf und ging in die Wohnung. Im Wohnzimmer war es kühl und dunkel. Sie zog die Tür wieder zu und sperrte damit den Verkehrslärm und die heiseren Schreie der Seevögel aus, die am Himmel ihre Kreise zogen. Stattdessen waren jetzt nur noch das ständige Summen der Klimaanlage und das sanfte Brummen des Kühlschranks zu hören. Ihre Wohnung wirkte dadurch wie ein Raumschiff mit eigenem Ökosystem, in sich abgeschlossen, von allem getrennt, unabhängig und entrückt vom Rest des Planeten.
Emily ging um die Ecke, betrat ihre kleine Küche und öffneteden Kühlschrank. Sie goss sich ein großes Glas Mineralwasser ein und trank es durstig aus, während sie einen Blick auf die Wanduhr warf.
Fünf Uhr achtunddreißig.
Nur noch eine knappe Stunde, dann würde Jim Keegan hier sein.
Sie strich sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht und suchte im Küchenschrank nach Aspirin. Noch hatte sie keine Kopfschmerzen, aber dass sich welche anbahnten, war bereits zu spüren, und wenn sie jetzt nichts dagegen unternahm, würden sie sehr heftig werden.
Natürlich war es auch noch nicht zu spät, ihre Beteiligung an den Ermittlungen wieder abzublasen.
Sie goss sich ein zweites Glas Wasser ein und spülte die Tablette hinunter.
Was, wenn sie sich in Bezug auf Alex Delmore geirrt hatte? Was, wenn sie seine Auseinandersetzung mit Vincent Marino falsch verstanden hatte? Was, wenn Alex an jenem Morgen wirklich nur zum Angeln mit seinem Beiboot unterwegs gewesen war? Wenn er nun unschuldig war? Bei seinem Besuch vor etwa einer Stunde hatte er jedenfalls einen unschuldigen Eindruck gemacht.
Aber wenn er wirklich unschuldig war, was hatte er dann mit einem der mächtigsten Unterweltbosse von Florida zu schaffen? Nein, Emily hatte die Auseinandersetzung nicht falsch interpretiert. Sie wusste genau, was sie da gehört hatte. Und wenn sie es sich recht überlegte, warum sollte Alex mit dem Beiboot rausfahren, um zu angeln? Das hätte er doch auch von der Yacht aus tun können.
Nein. Irgendeine krumme Sache lief da, und ihr Instinkt sagte ganz klar, dass Alex darin verwickelt war.
Wenn sie also jetzt einen Rückzieher machte, würde sie sich zeit ihres Lebens fragen, wie viel Koks Alex ins Land schafftein der Zeit, die dadurch verloren ging, dass sie nicht bereit war, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Sie würde sich fragen, wie viele Menschen – wie viele Jugendliche – an einer Überdosis starben, an Herzversagen, bei Messerstechereien wegen dieser Drogen.
Wie viele Jugendliche würden sterben, weil sie nicht den Mumm hatte, ein bisschen Zeit mit Jim Keegan zu verbringen?
Gut so, dachte sie. Das ist die richtige Denkweise. Wenn sie sich auf diese Überlegungen konzentrierte, dachte sie vielleicht weniger darüber nach, in was für eine furchtbare Situation sie sich hineinmanövriert hatte.
Es stimmte schon, mit Jim Keegan zusammenzuarbeiten war eine Zumutung. Vor allem weil sie dadurch wieder mit der peinlichen Erinnerung daran konfrontiert wurde, wie er sie einst zum Narren gehalten hatte. Sie musste der Tatsache ins Auge sehen, dass sie ihn vor sieben Jahren völlig falsch eingeschätzt und überhaupt nicht gekannt hatte. Ja, es stimmte, sie würde jeden Augenblick daran erinnert werden, wie sehr er sie verletzt hatte. Und ja, es stimmte auch, dass ihr jedes Mal bewusst wurde, wie dumm es war, dass sie ihm nur in die blauen Augen zu schauen
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