Nicht ohne Risiko (German Edition)
Emily schließlich zu. „Ich bin in ein paar Minuten unten.“
Nahezu zwanzig Minuten musste er warten, an den Tresen des Wachpostens gelehnt, bis Emily aus einem der Fahrstühle trat. Lächelnd ging sie ihm entgegen, und sein Herz begann dermaßen stürmisch zu klopfen, dass er sich sicher war, der Wachposten müsse es hören.
Sie sah fantastisch aus in ihren ausgeblichenen Jeans und dem eng anliegenden türkisfarbenen T-Shirt. Ihre langen kastanienbraun glänzenden Haare fielen ihr lose über die Schultern, und sie war nur ganz leicht geschminkt: ein Hauch von Lippenstift, ein bisschen Rouge auf den Wangen. Ihre Augen hatten die Farbe des Ozeans.
Durch ihre selbstsichere Haltung schien sie wesentlich älter. Dabei war sie gerade erst achtzehn. Er musste sich das mit Gewalt ins Gedächtnis zurückrufen. Sie war fast noch ein Kind.
„Wie läuft das Studium?“, fragte er sie, als sie hinaus in die Abendluft traten. In Florida waren die Novemberabende noch angenehm warm. Auf den Gehwegen drängten sich Menschen, die frische Luft schnappen wollten.
„Prima“, antwortete sie und lächelte zu ihm hoch, während sie sich auf den Weg machten.
Ihre Haut wirkte weich und glatt. Ihre Gesichtszüge waren zart, beinah zerbrechlich. Die mit Sommersprossen gesprenkelte Nase strebte an der Spitze ein wenig nach oben, und ihr Kinn war ein bisschen zu spitz, sodass sie beinah elfenhaft wirkte. Sie sah großartig aus – eine unglaubliche Mischung aus Frau und Mädchen, aus Reife und Unschuld. Besonders der ruhige, inneren Frieden ausstrahlende Ausdruck ihrer wunderschönen blauen Augen betonte ihre frauliche Seite.
Jim nahm sie am Arm und zog sie aus dem Gedränge der Fußgänger.
„Ich habe gelogen“, sagte er unverblümt. „Ich bin nicht gekommen, um über das studentische Sicherheitskomitee zu sprechen. Ich wollte …“
Ihm fehlten die richtigen Worte. Warum war er hier? Weil er sie wieder sehen wollte? Aber er wollte sie nicht nur wieder sehen. Er wollte nicht nur mit ihr reden. Er wollte …
„Was?“, hauchte sie und schaute ihm in die Augen.
Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er immer noch ihren Arm festhielt. Dass sie so dicht vor ihm stand, dass er ihren frischen süßen Duft wahrnehmen konnte. Die Wärme ihres Körpers spürte. Sie küssen konnte …
Er senkte den Kopf, fühlte sich unwiderstehlich von der verführerischen Süße ihrer Lippen angezogen. Aber er zwang sich, kurz innezuhalten, als ihn nur noch ein Hauch von einem Kuss trennte, um ihr die Chance zu geben, sich aus seinem Griff zu befreien, sich von ihm zu lösen. Sie rührte sich nicht, ließ die Gelegenheit zur Flucht ungenutzt verstreichen. Stattdessenschaute sie einfach zu ihm hoch, die Lippen leicht geöffnet, einen Funken von Erwartung und Erregung im Blick.
Also küsste er sie. Gleich an Ort und Stelle, auf dem Gehweg vor dem Wohnheim der Universität.
Er wollte nicht mehr als einen zarten Kuss. Einen sanften Kuss. Vor allem: einen einzigen Kuss. Aber dann war ein Kuss doch nicht genug, und er küsste sie noch einmal. Und noch einmal. Er zog sie an sich, und als er ihren weichen Körper spürte, verlor er die Beherrschung und vergaß, dass er doch sanft und zärtlich hatte sein wollen. Er strich mit der Zunge über ihre Lippen, und sie öffnete sich weit, gewährte ihm Einlass, ja, lud ihn ein.
Er zögerte keine Sekunde, diese Einladung anzunehmen.
Jim fühlte, wie sie ihm die Finger ins Haar wühlte, während er sie kostete. Er küsste sie wieder und wieder, lange, wilde, harte Küsse, die ihn mit Schwindel erfüllten und ihm den Atem raubten.
Stundenlang, ach was, tage- und wochenlang hätte er sie so küssen können, aber dann wich sie zurück. Sie atmete genauso schwer wie er, und in ihren Augen loderte heftiges Verlangen, als sie zu ihm aufschaute.
Als sie dann sprach, zitterte ihre Stimme ein wenig. „Heißt das, dass du doch keine ein oder zwei Jahre warten willst, bevor du mit mir ausgehst?“
Jim musste lachen. Rückblickend war ihm klar, dass er sich in genau diesem Augenblick in Emily verliebt hatte. Aber damals hatte er nicht begriffen, was die Gefühle bedeuteten, die ihn erfüllten. Er hatte nur gewusst, dass sie ihn zum Lächeln brachte, dass sie dem Schmerz, den er ständig mit sich herumtrug, die Schärfe nahm.
Blind starrte er auf den Bildschirm seines Computers. Da war beschrieben, was Astronomen alles unter einem Nebel verstanden, aber Jim sah es nicht.
Er hatte Emily nie gesagt, dass er sie liebte.
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